zu "Göttliche Liturgie" siehe auch Schema in Frage und Antworten !
Metropolit HILARION Alfeyev: EUCHARISTIE Opfer - Empfang der Allerhl.Gaben mit exzellenten Gesangsbeispielen aus der Göttl. Liturgie in der WIENer Kathedrale des Hl. NIKOLAUS |
zu:
Einführung
in die Göttliche Liturgie der Orthodoxen Kirche
Priester JOHANNES Nothhaas, orthodoxer Pfarrer in Mainz
zu:
Erfahrungen eines Protestanten
mit der gottesdienstlichen Spiritualität der Orthodoxie
zu:
Herausforderung "Sprache"
Alltags- und "Liturgiesprache" der Orthodoxen im Westen
Unsere Gottesdienste
(Vater FJODOR
Hölldobler, Bischofsheim an der Rhön)
(Die Orthodoxe Kirchengemeinde Hl.
Nektarios in Bischofsheim a. d. Rhön wurde am
9. November 1981 gegründet,
als Pfarrei besteht sie seit dem 2. Juni 1984)
Das erste Ziel der Pfarrei ist die
Anbetung des dreifaltigen Gottes und die Verehrung Seiner Engel und
Heiligen nach der Tradition der Östlichen Kirche.
Das Wort "Gottesdienst" wird in der Orthodoxie nicht anthropozentrisch
verstanden.
Wir, heute und hier, im Gottesdienst einer konkreten Gemeindet
versammelten Menschen stimmen nur in den Gottesdienst der Engel, der
Heiligen und der Glaeubigen aller Zeiten und an allen Orten der Welt
ein.
(erklaerende Anmerkung des Publizisten Priester Stefan)
Das zweite Ziel ist die Sammlung der Gemeinde von orthodoxen
Christen.
Dabei steht das Wort "russisch"-orthodox für die
jurisdiktionelle Zugehörigkeit zum Moskauer Patriarchat und
die vorwiegende gottesdienstliche Sprache. Die Gemeinde ist
polynational und bietet auch eine Heimat für die orthodoxen
Christen, die in ihren Herkunftsländern der
griechisch-orthodoxen, serbisch-orthodoxen, bulgarisch-orthodoxen und
rumänisch-orthodoxen Kirche, oder anderenen
selbständigen Kirchen der weltweiten Orthodoxie
angehören.
Eine zentralgelenkte Kirchenorganisation mit einem universalen
Machtanspruch kennt die Orthodoxie nicht.
Es gibt zwar keine deutsche Orthodoxe Kirche sondern nur Vertretungen der genannten lokalen Kirchen aus dem Ausland, jedoch ist vor allem durch Einheirat die Inkulturation der Orthodoxie in Deutschland durchaus im Gange.
Immer mehr Menschen
fühlen sich von einer Kirche angezogen, die eine ungebrochene
Tradition zur frühen Christenheit hin aufweisen kann, die aber
trotz ihrer archaischen und patriarchalischen Struktur nie starr und
dogmatisch eingeengt, sondern immer erstaunlich demokratisch und
flexibel in Erscheinung trat.
Missionarische Anwerbung von Gemeindemitgliedern wird nicht betrieben.
Die Pfarrei betreut seelsorglich orthodoxe Christen.
Den katholischen und evangelischen Gläubigen steht sie als ökumenische Begegnungs- und Informationsstätte zur Verfügung. Dies ist das dritte Ziel, durch Gespräche Vorurteile gegenüber der östlichen Christenheit, ja überhaupt den Menschen aus dem Osten gegenüber abzubauen und als integrative Zelle und Kulturbotschaft zu wirken, in einer unfriedfertigen und zerstrittenen Welt die Frohbotschaft unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus in der orthodoxen Lesart transparent werden zu lassen.
Neben den regelmäßigen Gottesdiensten wie Vespern, Vigilien und den Göttlichen Liturgien können von den Gläubigen Taufen, Trauungen, Bitt- und Dankgottesdienste (Moleben), Krankengottesdienste und Totengottesdienste (Panichiden) bestellt werden.
Unsere Kirche ist
tagsüber geöffnet und kann von jedermann, der sich
darin ehrerbietig verhält, besucht werden, auch unsere
Gottesdienste sind allgemein zugänglich.
Die Teilnahme an der Heiligen Kommunion setzt die ernsthafte
Vorbereitung voraus:
Fasten, Beichte, Aktive Teilnahme am Gemeindeleben der
Orthodoxen Kirche
(was durch den die Kommunion spendenden Pfarrer zu beurteilen ist)
(erklaerende Anmerkung des Publizisten Priester Stefan)
Das Antidoron (gesegnetes, nicht konsekriertes eucharistisches Brot) am
Schluß der Liturgie wird an alle verteilt, die den
gekreuzigten Christus am Segenskreuz des Priesters verehren.
(erklaerende Anmerkung des Publizisten Priester Stefan)
ausführlicher:
Der
orthodoxe Gottesdienst als Gesamtkunstwerk (Referat von Pfarrer Fjodor
Hölldobler
MYSTERIUM statt sakrament
Das lateinische Wort ‚sacramentum‘ für die
Mysterien, von denen wir hier sprechen, ist unangemessen und
irreführend.
Dies zeigt sich auch daran, daß man die Zahl der
‚Sakramente‘ nicht festlegen kann wie in den
westlichen Kirchen.
Zwar reden manche Lehrbücher davon, es gebe auch in der
Orthodoxen Kirche ‚sieben Sakramente‘, aber das ist
eine Angleichung an die Römisch-katholische Kirche, die
letztlich dem Sachverhalt nicht gerecht wird.
Der auf aristotelischen Denkhintergrund entstandene lateinische Begriff
‚Sakrament‘ (sacramentum= ursprünglich
Fahneneid)schließt eine rechtliche Komponente ein und
läßt sich genau definieren.
Anders das ihm zugrunde liegende griechische Wort
‚mysterion‘ (von ‚myein‘ =
schließen von Mund und Augen, Einweihung in ein
Heilsgeheimnis).
Das Mysterium bezeichnet eine ‚verborgene
Offenbarung‘, die sich darbietet ohne sich zu entbergen.
Es geht also um eine Paradoxie, die sich nicht auflösen
läßt.
Denn beides gehört wesentlich zum Mysterium:
das enthüllende Offenbaren
und
das verhüllende Sich-dem-Zugriff-entziehen.
Daher ist auch die Übersetzung „Geheimnis“
für ‚Mysterium‘ unzutreffend und
irreführend.
Es ist daher besser, den Ausdruck ‚Mysterium‘
unübersetzt zu lassen und inbezug auf die Orthodoxe Kirche
weder von Geheimnissen noch von Sakramenten zu reden.
Im Mysterium kann nicht ‚forma‘ und
‚materia‘ unterschieden werden, wie beim
lateinischen Sakrament.
Nicht ‚signum‘ (Zeichen) und
‚res‘ (bezeichnete Sache) sind die entscheidenden
Kategorien, sondern ‚Abbild‘ und
‚Urbild‘ im platonischen Sinne.
Denn das Mysterium gibt am Urbild Anteil durch ein
wirkungskräftiges Abbild.
Voraussetzung dafür ist nach orthodoxem Verständnis
die in Jesus Christus festgemachte Zusage Gottes und das Kommen des
Heiligen Geistes.
Darum haben die Mysterien der Heilsübermittlung durch die
Kirche (die auch mit ‚Sakramenten‘ gemeint sind)
eine Epiklese, so Taufe, Myronsalbung, Eucharistie, Buße,
Krankenölung, Ehekrönung, Weihe von Klerikern und
Mönchen, Wasserweihe, Bereitung des Myron, Weihe eines
Antimins (Antimensium=“Tischtuch“ für die
Eucharistie).
Aber der Begriff ‚Mysterium‘
läßt sich nicht auf diese kirchlichen Handlungen
beschränken.
Denn einerseits wird auch das Reich Gottes und sein Kommen, die
Menschwerdung Jesu Christi, das Evangelium und seine
Verkündigung in der Heiligen Schrift
‚Mysterium‘ genannt, andererseits haben die
altkirchlichen Väter auch von den gottesdienstlichen
Evangelienlesung und vom Gebet als von Mysterien gesprochen.
Es gibt in der Orthodoxen Kirche also keine feste Anzahl von
‚Mysterien‘, sondern –wie allein schon
die Rede von den ‚Festmysterien‘ zeigt –
eine unüberschaubare Fülle.
In all den einzelnen vielfältigen Mysterien aber bricht sich
das eine Licht des einen Heilsgeschehens in Jesus Christus, wie sich
das Sonnenlicht in den Farben des Regenbogens bricht.
Dies alles muß man bedenken und berücksichtigen,
wenn man von den ‚Mysterien‘ redet oder gar in
Analogie zu den westlichenKirchen gelegentlich den Begriff
‚Sakrament‘ gebraucht.
Vater JOHANNES Nothhaas, orth. Pfarrer,
Mainz:
Als Fürst Wladimir den für sein Volk angemessenen
Glauben suchte,
schickte er - so berichtet die Nestorchronik des alten Ruszland -
Gesandte aus, die die Glaubenspraxis bei den Muslimen, den Germanen,
in Rom und in Konstantinopel erkunden sollten. Die Berichte
über die
ersten drei Stationen fielen nicht günstig aus, weil die
Gesandtschaft dort jeweils fehlende Andacht oder fehlende
Schönheit
des Gottesdienstes auszusetzen hatte. Als sie schlieszlich nach
Konstantinopel kamen und dort der Göttlichen Liturgie
beiwohnten,
hatten sie endlich das gefunden, was sie suchten: "Und wir kamen zu
den Griechen und wurden dort hingeführt, wo sie ihrem Gott
dienen -
und wir wuszten nicht, ob wir im Himmel oder auf Erden gewesen sind.
Gibt es doch auf Erden nichts dergleichen zu schaün, noch
solche
Schönheit, und wir vermögen das gar nicht zu
erzaehlen. Wir haben
nun erfahren, dasz Gott dort unter den Menschen weilt und ihr
Gottesdienst steht über dem aller Lande. Nicht vergessen
können wir
jene Schönheit ..." Drei charakteristische Merkmale
für die
Liturgie der Orthodoxen Kirche sind in diesem Bericht der russischen
Gesandten enthalten, womit sie das Wesen des christlichen
Gottesdienstes in Konstantinopel erfaszt hatten:
Als die Gesandten auszogen, den wahren Glauben zu finden, fragten sie
nicht nach systematischem einer Glaubenslehre und zu befolgenden
Gesetzen, sondern beobachteten die Völker ganz einfach beim
Gebet.
Diese Form der Annaeherung an die Glaubensinhalte über den
liturgischen Vollzug entspricht ganz der orthodoxen Grundhaltung:
Einheit
von
Sie
hatten intuitiv erfahren, was
das Wort
Orthodoxie ausdrücken will: " wahre Anbetung, Verherrlichung
Gottes
".
In ihr werden alle Dinge auf Erden in ihrem Bezug zum Himmel gesehen,
in ihrer Bestimmung zur göttlichen Verklaerung. Vater Georg
Florovsky, ein russischer Theologe unseres Jahrhunderts sagt: "Das
Christentum ist eine liturgische Religion. Die Kirche ist
zürst eine
anbetende Gemeinschaft." Für viele westliche Christen ist es
eine
völlig neue Erfahrung, wenn sie bemerken, wie orthodoxe
Christen
vermeintlich "liturgische AEuszerlichkeiten" mit Akribie beachten.
Aber hat man einmal den zentralen Platz des Gottesdienstes , der
Anbetung, im Leben der Orthodoxen Kirche erkannt, dann verwundert das
nicht mehr. Die Orthodoxie sieht den Menschen vor allem als
liturgisches Wesen, der sich selbst am meisten verwirklicht, wenn er
Gott verherrlicht. In den dunklen Tagen unter totalitaerer Herrschaft
war und ist es die Göttliche Liturgie, die die orthodoxen
Völker
stets mit neuer Hoffnung erfüllt.
" Nicht vergessen können wir jene Schönheit ..."
zeugt von der
Feinfühligkeit für die Schönheit im
Liturgischen. Und da es ein
Ziel des Gottesdienstes ist den Menschen an seine Herkunft als
geschaffen nach dem Ebenbild Gottes zu erinnern, ist es nur
natürlich mit den Mitteln menschlicher Kunst einen Eindruck
von
paradiesischer Schönheit entstehen zu lassen. Wahrheit und
Schönheit sind ebenso wie Glaube und Leben zwei untrennbare
Begriffe.
" wir wissen nicht, ob wir im Himmel oder auf Erden gewesen sind ".
Gottesdienst in der Orthodoxen Kirche führt über
Alltag und
Umgebung hinaus. Er ist für die Glaeubigen nichts anderes als
"Himmel auf der Erde". Die Liturgie umfaszt zwei Welten; sie
geschieht im Himmel und auf Erden zugleich. Der Altar verlaengert
sich in die Ewigkeit hinein zum himmlischen Hochzeitsmahl, bei dem
wir mit Christus und dem Heer der Engel an der Festtafel teilnehmen.
"Wir haben erfahren, dasz Gott dort unter den Menschen wohnt."
Wie diese Ideale durch Architektur und Malerei ausgedrückt
werden,
können wir erleben, wenn wir eine orthodoxe Kirche betreten.
Wir
kommen, nachdem wir die Vorhalle durchschritten haben, in einen
groszen quadratischen Raum, über dem sich eine Kuppel
wölbt - mit
dem das Kirchenschiff segnenden Christus in ihrer Mitte. Das
Gefühl
der Naehe des Gottessohnes wird noch dadurch verstaerkt, dasz Er -
gleichsam in Nahaufnahme - dargestellt wird. Unterhalb zwischen den
Kuppelfenstern sehen wir die vier Erzengel: Gabriel, Michael, Raphael
und Uriel. In den Zwickeln folgen die vier Evangelisten. Die meist
vollstaendig bemalten Waende tragen Fresquen mit Darstellungen der
Ereignisse der Heilsgeschichte, vor allem jener durch die Christus
das Heil der Welt bewirkte: angefangen von der Verkündigung an
die
Gottesmutter bis zu Kreuzigung, Auferstehung, Himmelfahrt und Sendung
des Hl. Geistes. Unter diesen Wandikonen folgen dann in unserer Naehe
die groszen Heiligen der Kirche. Sie fügen sich in unsere
Reihen und
wir in ihre Reihen ein. Ihre Naehe zeigt an, dasz sie wie wir
Menschen von Fleisch und Blut waren, und wir in aehnlicher Weise zu
Christustraegern werden können wie sie. Die Bedeutung dieser
Ausgestaltung des Innenraumes des Gotteshauses können wir bei
dem
Hl.Maxim dem Bekenner nachlesen: "Der geistigen Schau bietet sich die
hl.Kirche Gottes als ein Abbild des gesamten Kosmos dar, der aus
sichtbaren und unsichtbaren Wesen besteht." In seiner Deutung des
Raumes ist im oberen Teil die himmlische Kirche mit dem Thron des
Weltherrschers Christus und den Chören der Engel mit den
Erzengeln
an ihrer Spitze und im unteren Teil des Raumes die Heilsgeschichte
und die Heiligen in der irdischen Kirche dargestellt. Dieses
"Bildprogramm" bringt zum Ausdruck, was sich in jeder Liturgie in
diesen vier Wänden vollzieht: Die göttliche Ewigkeit
erweitert die
irdische Enge von Raum und Zeit, Vereinigung von irdischer und
himmlischer Kirche wird vollzogen.
In der Horizontalen gliedert sich der Raum in drei Teile:
Narthex(Vorhalle), Schiff und Altarheiligtum, das durch die
Ikonenwand mit dem Schiff verbunden ist. Wir begegnen hier der
Einteilung des Tempels des Alten Bundes in Jerusalem, mit dem Vorhof
der Vorbereitung, dem Innenhof, indem die Opfer dargebracht wurden
und dem Allerheiligsten mit der Bundeslade. Die Übernahme des
Grundschemas des alttestamentarischen Tempels für den
Grundrisz des
gottesdienstlichen Raumes der neutestamentarischen Gemeinde, der
Kirche, drückt zweierlei aus:
Die Abgrenzung des Altarraumes weist hin auf die absolute Heiligkeit
Gottes, Seine Unfaszbarkeit. Die Abgrenzung und Verhüllung des
sakramentalen Geschehens durch die Ikonenwand wollen hinweisen auf
das Mysterium Gottes in der Menschwerdung Seines Sohnes und in Sein
Eingehen in die irdischen Elemente Brot und Wein. Das Wort Mysterium
kommt von griech. "myoo", die Augen verhüllen und bezeichnet
die
Haltung des Menschen in vorchristlicher Zeit bei der Gegenwart Gottes
im Tempel. Das Augenverhüllen ist ein Akt der Ehrfurcht vor
dem
Heiligen. Es wäre ein tiefes Miszverständnis der
Ikonenwand, wenn
man sie als Trennwand verstünde zwischen Volk und Klerikern.
Diese
Deutung kann nur aufkommen, wenn man den Sinn für das
Mysterium
verloren hat. Die drei Türen in der Ikonenwand, sowie die
Ikonen
selbst haben verbindende Funktion zwischen dem Geschehen auf dem
Altar und dem Kirchenvolk im Schiff. Die Ikonen in ihrer Funktion als
Fenster zur Ewigkeit zeigen die Gegenwart des erhöhten Herrn,
der
Gottesmutter, der Engel und Heiligen an. Durch die Türen in
der
Ikonenwand geschieht der Einzug des Herrn in sein Heiligtum mit
seinen Engeln und Heiligen: Das Gebet des Priesters beim Einzug mit
dem Evangelienbuch macht dies deutlich: "Gebieter, Herr unser Gott,
der Du im Himmel die Ordnungen und Heere der Engel und Erzengel
eingesetzt hast zum Dienste Deiner Herrlichkeit, lasz mit unserem
Eingang heilige Engel einziehen, die mit uns die Liturgie vollziehen
und Deine Güte mitverherrlichen." Die Ikonenwand trennt nicht
wie
der Tempelvorhang des Alten Bundes, im Gegenteil, sie führt
hin zu
dem Heilsgeschehen am Altar. Für westliche Christen, die den
orthodoxen Gottesdienst verstehen wollen, ist es wesentlich ein
Gefühl für die zwei unverzichtbaren Funktionen der
Ikonenwand zu
entwickeln: VERHÜLLEN und OFFENBAREN.
Auffallend ist auch, dass das Kirchenschiff frei von Bänken
ist. Der orthodoxe Christ ist es von Jugend auf gewohnt, stehend zu
beten. Nur für Alte, Schwache und Kranke stehen an den
Wänden Bänke zur Verfügung. Die stehende
Teilnahme am Gottesdienst hat vieles für sich:
- das Stehen ist die angemessenere Haltung als das Sitzen, zum Empfang
des Herrn, der in Seine Gemeinde einzieht. Das Stehen ist das
Kennzeichen der anbetenden Gemeinde, während das Sitzen
Kennzeichen einer passiv konsumierenden Versammlung ist, die sich so
z.B. auch einen Vortrag anhören könnte. - die engen
Kirchenbänke verhindern jede Bewegungsfreiheit zu aktiven
Gebetshaltungen, wie Verbeugungen und Metanien ebenso wie den spontanen
Ortswechsel des Gläubigen, wenn er sich dem liturgischen
Geschehen intensiver zuwenden oder eine Kerze opfern will.
- das Stehen ist die nüchterne Haltung des Wachenden; das
Sitzen verführt zu Kirchenschlaf.
- auch westliche Kniebänke sind für orthodoxe
Christen hinderlich, weil sie wieder nur eine andere statische Form der
Gebetshaltung erlauben.
Allein die Bänke können aus orthodoxer Sicht schon
Zeichen für die Fehlentwicklung sein, die im Westen den Kult
fast schon überall zu einer Versammlung reduziert hat. So ist
in vielen evangelischen Gemeinden der Predigtgottesdienst zum normalen
sonntäglichen Gottesdienst geworden, die Eucharistie wird nur
einmal im Monat oder seltener gefeiert. Die Formen des Gottesdienstes
machen deutlich, für welche Theologie, für welche
Beziehung zu Gott sie stehen.
Noch bevor der Gläubige das Kirchenschiff betritt, durchquert
er den Narthex. In diesem Vorraum ist während des
Gottesdienstes der Platz der Katechumen, der auf die
vollständige Mitfeier des Mysteriums noch nicht Vorbereiteten
vor ihrer Taufe und der nicht zur Feier Bereiteten im Stand der
Büssenden. Nach altkirchlicher Tradition dient es nicht dem
Wohle aller, wenn alle an allem in gleicher Weise teilnehmen. Die
Katechumen können nur am Wortteil voll teilnehmen. Vor dem
eucharistischen Teil werden sie vom Diakon mit dem Ruf: "Ihr
Katechumenen alle, gehet hinaus. Katechumenen gehet hinaus. Keiner der
Katechumenen bleibe !" Der Sinn dieser Massnahme, die heute noch in
vielen Klöstern - vor allem auf dem Heiligen Berg praktiziert
wird, ist die Bewahrung des Göttlichen Mysteriums in seiner
Bedeutung für unser Heil. Ein Nichtvorbereiteter soll es nicht
schauen. Der in Brot und Wein anwesende Herr soll nicht in
ungläubigen Augen profaniert werden. Der Verweis der
Büssenden an diesen Ort soll unterstreichen, dass sie solange
sie von ihren Sünden gefangen sind, nicht an der Kommunion des
Leibes Christi, der Kirche, teilnehmen können. Die Strenge
dieser Praxis war der Kirche nicht zum Schaden gewesen.
Von dem bisher beschriebenen statischen Äusseren des
orthodoxen Kirchenraumes kommt man besonders durch das "Bildprogramm"
der Ikonen zur inneren dynamischen Bestimmung dieses Kultraumes. Der
Zyklus der Fresken führt uns hin zu den Heilstaten Gottes, die
in den zwölf Hochfesten des Kirchenjahres kulminieren. Da der
Kirchenraum vor allem der Ort der Liturgie ist, muss man in diesem
Zyklus auch eine Deutung dieser Liturgie sehen: Sie sind das gemalte
Gedächtnis der Heilstaten Gottes in Seinem Sohn Jesus
Christus. Sie sind die Anamnese in Farben - zu der gesprochenen
Anamneseworten der Liturgie, in der der Zelebrant nach den
Einsetzungsworten des Herrenmahles folgenden Wortlaut des
Gedächtnisses anstimmt:
"Eingedenk also dieses erlösenden Gebotes und all dessen, was
für uns geschehen ist: des Kreuzes, des Grabes, der
Auferstehung am dritten Tag, der Auffahrt in die Himmel, des Sitzens
zur Rechten und der zweiten, neuen Ankunft in Herrlichkeit, bringen wir
Dir dar das Deine vom Deinigen, gemäss allem und für
alles"
d.h. die Darbringung von Brot und Wein vor Gott wird verbunden mit dem
Gedächtnis des ganzen Heilshandelns in Christo. Damit werden
nicht nur die beiden eucharistischen Elemente, sondern das ganze
Christusmysterium vor Gott dargebracht. Das ganze Heilswerk Christi
wird in der Heiligung der beiden Gaben gegenwärtiggesetzt und
in der Kommunion übermittelt. Raum und Zeit stehen still, und
wir, die Gläubigen stehen mit den Hirten und den Magiern vor
dem Kind in der Krippe zu Bethlehem.
Wir stehen bei dieser Feststellung unmittelbar vor dem Mysterium des
christlichen Gottesdienstes selbst. Unser unsichtbares
Herausgehobensein aus Raum und Zeit in der Feier der
Göttlichen Liturgie geschieht durch die Gegenwart des Herrn.
Seine Gegenwart überbrückt Raum und Zeit, weil Er der
Ewige, Raum und Zeit überwunden hat. Deswegen ist auch Sein
Kommen in der Liturgie gar nicht zeitlich eingrenzbar.
Der ganze Gottesdienst ist Epiphanie des Herrn, d.h. Erscheinung des
Herrn. Der Ausdruck Epiphania Domini, d.h. Erscheinung des Herrn,
stammt nicht aus der Sphäre der nur persönlichen,
innerlichen Frömmigkeit, sondern kommt aus dem Bereich des
Öffentlich-Rechtlichen, des Politischen. Epiphanie bezeichnete
das Erscheinen des Römischen Kaisers, wenn er auf seinen
Reisen durch die Provinzen seines Imperiums eine Stadt besuchte. Das
Wort Epiphanie ist gleichbedeutend mit Kaiserbesuch. Wir
können uns einen solchen Kaiserbesuch gar nicht pomphaft genug
vorstellen. Die Städte erstrahlten in Illumination, die
Magistrate und Bürgerschaften erschienen in festlichem Zug mit
ihren Huldigungen und Weihegaben, und der Kaiser verlieh Bezeugungen
seiner Huld und Gnade, liess Feste feiern und spendete für
Spiel und Mahl und manchmal verlieh er wohl bei diesen Gelegenheiten
das römische Bürgerrecht, das der Stadt und ihren
Bürgern grosse Freiheiten und Rechte sicherte. - Und so, wie
Epiphanie hier die ganze Festzeit des Kaiserbesuches bezeichnete, so
gilt dies auch für die Liturgie. Die ganze Liturgie bezeichnet
das Kommen des Herrn in all seinen Heilstaten. So deutet schon die
Vorbereitung der Gaben von Brot und Wein vor dem offiziellen Beginn der
Liturgie hin auf die Geburt des Herrn in Bethlehem. Über dem
Teil Brot, über das in der Liturgie die Segensworte gesprochen
werden, wird der Stern von Bethlehem in Form eines vierstrahligen
Metallbaldachins errichtet, begleitet von den Worten des Zelebranten: "
Und der Stern kam und stand oben über dem Ort, wo das Kind war
" (Mt 2:9)
Die vorbereiteten Elemente Brot und Wein werden dann mit den
Tüchern der Velen bedeckt. Der Rüsttisch mit den
vorbereiteten Gaben bezeichnet die Zeit der 30 Jahre Jesu im
Verborgenen, vor Seiner Taufe und Seinem öffentlichen
Auftreten.
Der Ablauf der Liturgie kann in 4 Teile gegliedert werden:
Eingangsteil mit:
- Eingangssegen
- Friedensektenie (Ektenie=Fürbitte)
- zwei kleine Fürbittgebete mit jeweils folgenden
Psalmgesängen
Wortteil mit:
- Kleinem Einzug mit dem Evangeliar
(welches das Kommen Christi in Seiner Verkündigung bezeichnet)
- Lesung der Epistel
- Evangelium
- Predigt
Eucharistischer Teil:
- Cherubimhymnus
- Grosser Einzug mit den vorbereiteten Gaben
- Eucharistiegebet:
- Dankgebet
- Einsetzungsworte
- Anamnese
- Herabrufung des Hl.Geistes
- Kommunion: Empfang der Allerheiligsten Gaben
Schlussteil mit:
- Dankgebete
- Segen
In diesem Aufbau der Liturgie spiegelt sich das Heilswerk Christi:
In der Vorbereitung der Gaben und ihrer Verhüllung ist die
Geburt in Bethlehem und die 30 Jahre seines Lebens im Verborgenen
angedeutet.
Im Wortteil beschreibt der Kleine Einzug die Ankündigung des
Kommens Jesu in seinem Wort. Dieser Einzug hat schon eine kosmologische
Dimension, da die himmlischen Heere der Engel mitbeteiligt sind.
Dann erhebt der Diakon das Evangelienbuch und ruft:
"Weisheit! Aufrecht!"
"Weisheit" ist die Umschreibung Christi, und der Ruf "Aufrecht" bezieht
sich auf die Gläubigen. Das heisst, hier kommt der Herr, lasst
uns aufrechter Haltung (an Leib und im Geist) Ihn empfangen. Der Zug
der Zelebranten bleibt in der Mitte mit dem vom Diakon erhobenen
Evangelienbuch stehen, und der Chor singt zusammen mit der Gemeinde:
"Kommt lasst uns anbeten und niederfallen vor Christus, oh Sohn Gottes
auferstanden von den Toten, Alleluja, Alleluja, Alleluja".
Durch nichts wird eigentlich deutlicher, wie sehr die Orthodoxe Kirche
auch eine Kirche des Wortes ist. Vor der Verwirklichung der
Verkündigung des Wortes Gottes in der Lesung von Epistel,
Evangelium und Predigt singt der Chor das Dreimal-Heilig, das dem
Sanctus aus Jes 6, dem Engelsgesang in der Gotteserscheinung des
Propheten entspricht, bevor die Konsekration vollzogen wird.
Der eucharistische Teil verdeutlicht das Kommen Christi im Sakrament
des von Ihm eingesetzten Mahls. Die Herabrufung des Hl.Geistes zur
Wandlung der Elemente von Brot und Wein in Leib und Blut Christi zeigt
an, wie das Heilshandeln Jesu einmündet in das Wirken des
Hl.Geistes in der Kirche nach Seiner Himmelfahrt. Die Liturgie endet
nach der Kommunion mit Dankgebeten und dem Segen. Besonders
kennzeichnend ist das vom Chor gesungene Troparion:
Wir erleben heutzutage den Anbruch einer Zeit, in der man
allmählich davon abkommt, den Bruch mit der Tradition zu
verherrlichen. Man wird sich dessen bewusst, dass Traditonslosigkeit
bedeutet kein Vaterhaus zu haben, keine geistigen Väter. Man
merkt, die geistige Heimatlosigkeit, den Verlust der eigenen
Identität, wenn man nicht weiss, woher man kommt, woher man
kommt, wohin man gehen soll. Deshalb sucht man heute wieder echte
Tradition zu gewinnen und sieht inzwischen nicht mehr auf die Orthodoxe
Kirche herab als ein im Mittelalter erstarrtes Gebilde. Man ahnt und
erkennt inzwischen, dass das, was dem fortschrittlichen Westeuropa als
so reformbedürftig erschien, den unter den Mongolen,
Türken und Kommunisten unterdrückten Völkern
eine über Jahrhunderte anhaltende unauslöschbare
Identität gab. Ja, man entdeckte nicht nur die
Schönheit der Sprache und Gesänge der Orthodoxen
Kirche, sondern auch die Tiefe ihrer Theologie. Eine Reihe von
Theologen erkannte auch zahlreiche Brüche in der Tradition der
westlichen Christenheit, die z.B. in der kirchlichen Kunst in stets
schnelleren Wechsel sichtbar wurden, von Gotik zu Renaissance zu Barock
und Rokoko bis hin zur Moderne.
Und heute in unserem Zeitalter, das im Westen im Zeichen der
Ökumene steht:
Lassen sich die verlorenen Inhalte dadurch finden, dass man die
Gleichwertigkeit aller liturgischen Formen erklärt oder
einfach "Ritus" imitiert ?
Liegt die spirituelle Verarmung des Westens nicht gerade in der
Trennung von Form und Inhalt der Anbetung ?
Reicht die intellektuelle Reflexion unserer irdischen Situation - oder
suchen die Menschen auch in unserer Zeit in der Religion vor allem die
Einbeziehung der ganzen Person in eine tragfähige Verbindung
mit Gott, die auch auf "äussere Formen" der Anbetung
angewiesen ist ?
Liturgisches als Zutat, als Zitat, als Adiaphoron ist nicht nur
inhaltslos, schlimmer noch, sie ist kraftlos, verliert die Kraft uns zu
unserem Heil hinzuführen.
Die Synthese von Glauben und Anbetung wiederzufinden kann uns
weiterhelfen. In der Geschichte können wir die Ursachen und
die Entwicklung der Trennung des Leibes Christi kennenlernen.
Zur Einheit zurück führt aber wahrscheinlich nur ein
Weg:
Geleitet durch den Hl.Geist wieder die Einheit von verständig
angenommenen Glaubensinhalten und den dazugehörigen Formen
glaubensentsprechender Anbetung zu leben, wie wir sie an den noch
lebendigen Quellen der alten Kirche finden können.
keine
E-mail
Briefadresse:
Vater JOHANNES
Nothhaas
Pfarrer
Mühlweg 55
D - 55 128 MAINZ
Die
Göttliche Liturgie
als Vergegenwärtigung von
Opfer, Kreuz und Heil
Predigt
von
Metropolit Anthony (Bloom)
Ich möchte heute mit uns über die Göttliche
Liturgie nachdenken, darüber, was sie darstellt, wie wir an
ihr teilhaben können, und dies nicht nur während des
Gottesdienstes. Da sind wir mit Herz und Seele dabei. Aber auch sonst
gilt es an ihr teilzuhaben, woran die Menschen durchaus nicht immer
denken und was doch aus einer grundsätzlichen inneren
Beteiligung hervorgeht. Zunächst will ich mit euch
darüber nachdenken, was Liturgie ist.
Im Mittelpunkt der Göttlichen Liturgie steht das Opfer Christi am Kreuz; zum Verständnis dieses Opfers befähigt uns das ganze Alte Testament, zumal jener Teil, den wir nicht immer so bewußt annehmen, nämlich die gesetzliche Regelung des Opferwesens. Häufig stellt sich die Frage, weshalb denn diese Opfer festgesetzt wurden, welchen Sinn die Darbringung eines Lämmchens zur Besänftigung Gottes haben könnte? Vermag denn das Blut wortloser Tiere eine Rechtfertigung und Reinigung für den Menschen zu sein? Hier gilt es zu begreifen, worum es bei diesen Geboten geht und wie das Alte Testament die Akzente setzt. Dabei wollen wir uns mit Herz und Seele in Zeiten versetzen, die der unseren nicht gleichen, die aber leicht verstanden werden können, wenn man sich etwa folgendes klarmacht: Da wird ein Auto von einem betrunkenen Fahrer gesteuert. Er überfährt einen Passanten und verletzt ihn tödlich. Was geschah? Wie kommt es, daß einer einen Fehler macht, und ein anderer dafür mit seinem Leben bezahlen muß? Genau darin besteht das Herzstück der Opferung in Bezug auf die menschliche Sünde.
Man stelle sich die Situation im Alten Testament vor: Jüdische Nomaden ziehen mit ihren Herden von Schafen und anderen Tieren umher. Da wird also bei einem Armen - Reiche gab es nicht - ein Lämmlein geboren. Wir sehen am Beispiel der alttestamentlichen Erzählung, die von einem Ereignis aus dem Leben des Königs David berichtet (2Sam), wie eng der Hirte mit dem Lämmchen verbunden war, das in seiner Herde geboren wurde. Es war nicht nur ein Zeichen für potentiellen Wohlstand, es wurde vielmehr gleichsam in seine Familie hineingeboren, man liebte es in seiner Gebrechlichkeit, es war klein und bedurfte des Schutzes, und es war auf Zuwendung und Wärme angewiesen.
In dieser Erzählung vom König David heißt es, er habe in seiner Verblendung einem anderen Manne die Frau weggenommen, obwohl dieser im Krieg für ihn focht. Der Prophet Nathan will ihn ermahnen und kommt zu ihm. Er tut das nicht auf direktem Wege, sondern erzählt ihm ein Gleichnis: Es war ein armer Mann, und er hatte nur ein Schäfchen. Das lebte in seinem Hause, er fütterte es, beschützte es, ihm galt all seine Liebe und Fürsorge. Er hatte niemanden sonst auf der Welt, und so hielt er es wie ein Töchterchen. Und da war ein wohlhabender Nachbar, der einen Gast hatte. Er besaß viel Vieh, aber er schonte seine Herde und nahm das Lämmchen des Armen, ließ es schlachten und seinem Gast als Speise vorsetzen ... Wie reagierte David darauf? Er rief empört: Dieser Mann ist des Todes. Er nahm das Kostbarste, was der Arme besaß, so daß ihm nichts blieb ... Da sagte Nathan zu ihm: Du bist der Mann; Uria hatte nur einen Schatz, das war seine Frau, die er liebte, die ihm alles bedeutete, du aber bist König, du hast alles, und doch hast du sie ihm weggenommen ... Aus dieser Erzählung spüren wir die Wärme und Zuneigung, die zwischen dem Hirten und dem Schäfchen bestand, zwischen dem Menschen und seiner Herde.
Auch in Christi Erzählung vom verirrten Schaf wird dies deutlich. Rein "wirtschaftlich" betrachtet, hat ein in den Bergen verirrtes Schaf kaum eine Bedeutung. Sollte man denn 99 Schafe allein lassen, sie der Gefahr aussetzen, daß sie auseinanderlaufen und dem Wolf zum Opfer fallen oder von Räubern weggetrieben werden? Natürlich nicht! Schließlich werden neue Schafe geboren, die den Verlust ersetzen. Aber hier wird nicht wirtschaftlich gedacht, hier begegnet uns ein völlig anderes Verhalten. Das entlaufene Schaf ist Glied seiner Herde, hier wurde es geboren. Er wird es, solange es klein war, auf seinen Schultern getragen haben oder auf seinem Arm, wenn die Herde einer neuen Weide zugetrieben wurde. Er achtete darauf, er schützte es vor Krankheit und Kälte, vor Hunger und wilden Tieren und wohl auch vor der Grobheit anderer Schafe. So war es nicht nur ein Schaf für ihn, das tausend andere ersetzen konnten, es war ein ihm vertrautes Tier, und deswegen kann er gar nicht anders, als es zu suchen.
Wenn wir uns nun den Opfern im Alten Testament zuwenden, wollen wir dessen eingedenk bleiben, was wir über die Empfindungen des Menschen zu einem verlorengegangenen Schäfchen erfahren haben, drohte ihm doch der Tod!
Da spricht der Herr zu ihm: Du bist ein sündiger Mensch. Du lebst unrein vor mir, und du tust Unrecht; und weil du Unrecht tust, mußt du mit eigener Hand eines deiner Schafe schlachten, und du sollst dafür ein makelloses Tier auswählen, das schönste, an dem dein Herz hängt, das deine Freude ist wie das Kind in deinem Hause... - Warum dies? Warum soll ich das tun? Weil das Unrecht des Schuldigen leidvoll dem Unschuldigen auferlegt wird. Wenn du es tötest, wirst du dir die Frage stellen, ob du abermals treulos, unehrlich, ungerecht handeln kannst? Du wirst inne, wer für deine Sünde bezahlt hat, und dir wird bewußt, wen der Fluch deiner Sünde trifft.
So wurden jahrhundertelang die Menschen im Alten Testament erzogen, daß die eigene Sünde unbedingt Leiden, Qual und Tod dem Unschuldigen bringen muß, und der Schuldige dadurch verschont wird. Ein Ungerechter weiß sich aus der Klemme zu ziehen, aber der geliebte Reine, Zarte, Schutzlose bezahlt mit seinem Leiden als Konsequenz aus meiner Sünde. Darum war das Alte Testament gegenüber dem Menschen so streng: Du mußt das schönste Schäfchen aussondern und für den Tod bestimmen, mußt es zum Opfer bringen und augenscheinlich fast körperlich spüren, was Sünde bedeutet ... Sünde bedeutet Tod, Leiden, Schrecken, je Todesangst für ein unschuldiges Wesen, obwohl es deine Sünde ist, bringt sie ihm oder ihr Leid.
Nunmehr wird klar, wie tödlich die Sünde wirkt. Damals hat eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, das schrecklich an sich erfahren. Wahrscheinlich denken sie jetzt an das 8. Kapitel des Johannesevangeliums (Joh 8,3 ff.). Man hatte eine junge Frau beim Ehebruch ertappt und dem Gericht Christi überstellt: "Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?" ... Ich will jetzt nicht darauf eingehen, was Christus gesagt hat; ich möchte vielmehr das Augenmerk auf die junge Frau richten. Sie hatte aus Leichtsinn, vielleicht auch verlockt und verführt, gesündigt. Wahrscheinlich hat sie wie wir alle gedacht: Ich werde es später durch Buße in Ordnung bringen, aber es wird immer wieder vorkommen, daß es kein anderes Mal gibt ... Hier war es so. Man ergriff sie. Sie sah sich vor Christus geführt und kannte das Gesetz. Nun begreift sie körperlich, seelisch, mit ihrem ganzen Wesen, wie Sünde und Tod das Gleiche sind. Weil sie gesündigt hatte, wird sie nun sterben. Sie begreift, daß vor Gottes Gericht immer die Sünde den Tod nach sich zieht ... Es bewirkt die gleiche Erfahrung wie im Falle des Hirten und seines Lämmchens. Tod und Sünde scheinen für uns so weit auseinanderzuliegen, daß sie nichts miteinander zu tun haben; sündigen tue ich jeden Tag; sterben werde ich irgendwann einmal später. Doch plötzlich wird unübersehbar, wie recht der Apostel Paulus hatte, wenn er den Tod der Sünde Lohn nennt (Röm 6,23). Wie recht hat das Buch Genesis, in dem eingangs berichtet wird, daß der Mensch sündigte und der Tod in die Welt kam. Uns deucht das so weit weg und unrealistisch, aber wie real wurde es für diese junge Frau, die für einen Augenblick der Sünde plötzlich vor dem Tod stand, dem endgültigen, dem plötzlichen. Und dieser Tod war grausam; von Steinen erschlagen zu werden, einsam zu sterben, von allen verworfen ... Eben das Gleiche durchlitt der Hirte, der seine Sünde auf ein geliebtes Tier legen mußte und damit seinen Tod bewirkte.
Darin bestand der Sinn alttestamentlicher Opferung, und deshalb sprechen Altes und Neues Testament (das Alte Testament prophetisch, das Neue faktisch) von Christus als dem Lamm Gottes, das die Sünden der Welt auf sich nimmt (Joh 1,29).
Er nimmt die ganze Sünde der Welt auf sich. Er, der Makellose, Reine, Sündlose muß sterben, weil Er aus freiem Willen einer von uns werden wollte. Er ist nicht nur Gott im Himmel, Er ist Mensch auf der Erde. Ein sündloser, ein reiner Mensch, wie das Opferlamm rein und makellos sein muß. Und weil sich um Ihn die Sünde häuft, bringt sie über Ihn Fluch und Tod. Christus wird für den Tod geboren. Bereits als Kind von Bethlehem ist Ihm wie einem neugeborenen Lamm das Los eines blutigen Opfers bestimmt. Wenn wir am Heiligen Abend vor der Krippe Christi stehen, sollten wir daran denken, was das bedeutet. Gewöhnlich zeigt uns die Weihnachtsikone eine Krippe. Ich denke an eine alte griechische Ikone, wo alles dargestellt wird, wie wir es gewohnt sind: die Grotte, die Jungfrau und Gottesmutter, Josef, die Hirten, die Engel, Tiere und die Weisen, aber etwas ist ganz anders als bei den sonstigen Ikonen. Statt der Krippe liegt Christus auf dem Opferaltar, ein hoher von Steinen errichteter Opferaltar, und Er liegt dort wie ein Lamm. Er liegt dort, weil Er dazu in die Welt kam, um für die Sünden der Menschen geschlachtet zu werden. Bereits im ersten Augenblick Seiner menschlichen Existenz war Er das Opfer.
Auch in der Taufe des Herrn wird dieses Bild lebendig. In der Weihnachtsnacht wurde der Retter nach dem Willen des Vaters und dem gehorsamen Liebeswillen des Sohnes geboren. Jetzt aber ist Er kein Säugling mehr, jetzt steht Er als ausgewachsener Mann, als der Christus Jesus im Wasser. Vormals bestimmte der göttliche Rat, der göttliche Entschluß unser Heil als durch den Kreuzestod des Gottmenschen vollzogen; jetzt aber beschließt nicht allein Gott, jetzt muß der Mensch Jesus Christus verwirklichen, was der ins Fleisch gekommene Gott durch Seine Inkarnation auf Sich nahm. Wieviele Menschen mögen vor Ihm zum Jordan gekommen sein, um von ihren Sünden symbolisch, bildhaft gewaschen zu werden. Sie tauchten unter in den Wassern des Stroms, und diese wurden gleichsam belastet mit der menschlichen Sünde, sie wuschen sie ab, und die Sünde blieb gleichsam in den Wassern als schwere Last mit tödlichem Ausgang zurück. In diese Wasser taucht der sündlose unschuldige Christus ein. Bei Ihm braucht nichts abgewaschen zu werden, Er ist rein, aber Er taucht unter in diese tödlichen und todbringenden Fluten, in die menschliche Sünde und steigt aus den Wassern, als habe Er diese Sünden auf Sich genommen und sie durch Sein Untertauchen wieder gereinigt. Die Fluten des Jordans bergen in sich Reinheit, die sie dadurch erwarben, daß Christus die Sünden aus ihnen auf Sich nahm, der Gottmensch heiligte sie durch Seine Berührung. Wir sind Christus gegenüber in der gleichen Lage wie der Hirte, wie der alttestamentliche Herr der Schafherde zu seinem Lämmlein, das er schlachten muß und dem Tode anheim geben, weil er selbst sündig ist.
Wir vermögen das nicht nachzuempfinden. Christus lebte vor 2000 Jahren. Die Ikonen haben diese schrecklichen Bilder veredelt, und der Gottesdienst hat all dieses Geschehen wohlanständig gemacht. Wir betrachten die Ikonen der Kreuzigung, ohne den sterbenden Menschen, Jesus Christus, am Kreuz wahrzunehmen, die Ruhe des Friedens hat sich auf diese argen Bilder gelegt. Aber wir dürfen das nicht vergessen! Wie können wir das vergessen und in der Liturgie nur einen schönen Gottesdienst sehen, der uns so viel gibt und uns so viel sagt?! Vermögen wir denn nicht durch diese Schönheit die tragische Realität dessen zu sehen, was sie darstellt? Der Tod ist nicht schön. Er kann erhaben sein, aber nicht schön sein. Wir müssen uns von den vertrauten Bildern, die uns im kirchlichen Gottesdienst begegnen, losreißen und hineinbegeben in die Realität der Ereignisse selbst.
Überall, während des ganzen Gottesdienstes, können wir das erleben. Kreuz und Kreuzigung, worauf wir schauen, stellen für uns Opfer und Sieg Christi dar, aber wir dürfen nicht nur den Sieg sehen. Die Priesterkleidung weist uns auf die königliche Würde des Siegers Christus hin, wir aber sollten nicht vergessen, für welchen Preis der Menschensohn diese Würde erwarb. Häufig sagt man, der bischöfliche Gottesdienst konzentriere sich auf den Bischof. Daß wir doch verstehen könnten, was er an sich darstellt in den verschiedenen Handlungen, die ihn umgeben. Es sind schreckliche und durchaus nicht strahlende Bilder des Neuen und Alten Testaments.
Der Bischof betritt die Kirche, er steht in ihrer Mitte, für alle sichtbar, und man nimmt ihm die Oberbekleidung ab. Ist das nicht ein Gleichnis dafür, was in der Passionsnacht mit Christus geschah, als Er entkleidet wurde und allein blieb, vor aller Augen die Geißelung, die Schande und den Spott erwartete? Christus hat zu Petrus gesagt: "Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst" (Joh 21,18). Auch der Bischof hebt die Arme, und man legt ihm den Gürtel an, der die Bereitschaft zur Tat symbolisiert. Wir können darin nur die Zurüstung zum Dienst des Bischofs sehen, wir können auch dieses schreckliche Bild sehen, das sich vor Petrus auftat, als Christus ihm jenen Tod ankündigte, den er sterben würde. Die Mitra symbolisiert die Dornenkrone, sind wir willig, das so zu sehen oder sind wir blind dafür? ... Und vor allen Dingen der Priester bekleidet sich vor dem Dienst mit einem weißen Hemd, das Makellosigkeit und Reinheit darstellt, eben jene Reinheit des Lammes, das zur Schlachtung geführt wird. Gewiß, das sind Bilder, wir können sie wahrnehmen oder blind ihnen gegenüber sein, und das läßt sich über alles sagen, was in der Kirche geschieht.
Schrecklich ist es nur, wenn wir uns von der Schönheit blenden lassen und von der Harmonie all dessen verzaubert werden, was vor unseren Augen abläuft und dabei vergessen, was es an sich bedeutet. Christus ist das Lamm, geboren zum Tod, gelegt in eine Krippe, die den Opferaltar darstellt, Er ist das Lamm geboren in einer Grotte, die die Grabkammer in jenem Garten ankündigt, wo Sein atemloser Körper - oder sagen wir’s einfacher: Sein Leichnam - nach einem schrecklichen Tod am Kreuz hingelegt wird. Und Sein ganzer Lebensweg führt Ihn zum Abendmahl.
Im Bericht über das Abendmahl wird bei den verschiedenen Evangelisten ziemlich vollständig das jüdische Passahmahl am Abend dargestellt. Aber das allein genügt nicht. Im Mittelpunkt der jüdischen Passahnacht stand das geschlachtete Lamm, das zerteilt wird. Und keiner der Evangelisten erwähnt das Lamm, weil der Mittelpunkt des Abendmahles Der ist, Der Gottes Lamm ist. Das Lamm des Alten Testaments, das Lamm der Opferung war nur ein Bild, eine Vorbereitung darauf, daß wir verstehen und sehen sollten. Jetzt ist es nicht mehr nötig: Inmitten der Jünger sitzt das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, dem Tod und der Kreuzigung entgegengeht.
Erinnern wir uns an den Propheten Jesaja, der von Christus sagt: "Seht, mein Knecht ... Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen. Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun; was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt. Wer hat unserer Kunde geglaubt? Der Arm des Herrn - wem wurde er offenbar? Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Sproß, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so daß wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, daß wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen. Er wurde mißhandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf. Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, doch wen kümmerte sein Geschick? Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen. Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, bei den Verbrechern seine Ruhestätte, obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war. Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen. Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen, und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein" (Jes 52,13-53,12).
Und von der Gottesmutter heißt es: "Freu dich, du Unfruchtbare, die nie gebar, du, die nie in Wehen lag, brich in Jubel aus und jauchze! Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr" (Jes 54,1).
Wir haben hier Bilder der Opferung, prophetische Worte. Das ganze Alte Testament ist darauf ausgerichtet, daß das Lamm Gottes kommt, zum Sterben geboren wird, die Sünde auf sich nimmt, die Wahrheit verkündigt, Heiligkeit offenbar macht, Sich freiwillig Folter und Qual aussetzt, am Kreuz stirbt und durch den Tod den Tod besiegt.
In dieser Nacht freilich geschah etwas Besonderes. Christus nämlich, der große Hirte, der Hohepriester der Kirche hat diesen göttlichen Dienst Selbst vollzogen. Er brach das Brot, Er verteilte den Kelch und dennoch bleiben die Jünger, die an diesem Brot und Kelch teilhatten, diejenigen, die sie früher gewesen waren. Denn dieses Abendmahl, das von Christus noch auf der Erde gefeiert wurde, war Prototyp dessen, was kommen sollte im Laufe der nächsten Tage, die wir die Leidenswoche nennen. Es war gewissermaßen eine Schau jener Liturgie, die wir nach Kreuz und Auferstehung, nach Himmelfahrt und Pfingsten hier vollziehen. Sie war ein Vorbild auch deswegen, weil das Wesen des Geheimnisses noch nicht vollendet war. Die Nacht von Gethsemane, der Verrat, die Leidenstage, Kreuz, Auferstehung und Verherrlichung des Erlösern waren noch nicht geschehen, und die Gabe des Heiligen Geistes, Der auf die Jünger fallen sollte, um sie fähig zu machen, Frucht zu tragen, war noch nicht ihnen gegeben. In diesem Sinne war auf unbegreifliche, schreckliche Weise, dieses Abendmahl, von Christus Selbst vollzogen, noch Erwartung des künftigen, größeren, realen.
Allerdings hat Christus das ganze Werk der Rettung vollbracht, alles ist getan, nichts mehr hinzuzufügen in der Ordnung des göttlichen Heilsplans, und wir feiern die Liturgie. Aber auch sie ist nur ein Abbild dessen, was wir erwarten, trotz ihrer unbegreiflichen Größe, ungeachtet dessen, daß in ihr uns real, gegenständlich, geistlich das ewige Leben vermittelt wird, erwarten wir dennoch das größere. Nach der Kommunion sagt der Priester in einem kurzen Gebet: "Gewähre uns, Wahrhaftiger, mit Dir zu kommunizieren am abendlosen Tag Deines Reiches." Denn diese Göttliche Liturgie stellt gleichzeitig sowohl das Geheimnis der rettenden Tat Christi als auch das des künftigen Äons dar, der in seiner Fülle in all seiner Macht und Herrlichkeit erst nach der zweiten Wiederkunft Christi offenbar wird. Dennoch ist dies nicht nur Erwartung, nicht nur ein Bild; die Göttliche Liturgie ist nicht ein Gleichnis, sie ist Realität, aber eine Realität, die wir jetzt noch nicht in ihrer Fülle begreifen können und die uns noch nicht in ihrer ganzen Macht und Herrlichkeit zuteil werden kann. In der Göttlichen Liturgie geschieht ein Wunder, nämlich das, daß alles, was wir in Zukunft noch erwarten, in einem uns zugänglichen Maße bereits jetzt geschenkt wird. In einem der stillen Gebete des Priesters heißt es: "Laß uns heute Anteil haben an Deinem Reich, welches noch kommen wird: Laß uns heute teilhaben an dem, was noch bevorsteht." Denn die Liturgie ist nicht Bild noch Gleichnis, sondern eine Vorwegnahme, ein Vorgeschmack, weil in der Göttlichen Liturgie schon jetzt (für einen Augenblick und in jenem Maße, in dem es uns zugänglich wird nach unserem Verhaftetsein im Fleisch, nach unserer Sündhaftigkeit und nach der Sündhaftigkeit der ganzen Welt) wir die Ewigkeit vorwegkosten, an ihr teilhaben, mit ihr kommunizieren. Und darin besteht bei der Spendung der Sakramente der eigentliche Sinn der Anrufung des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist gibt Zeugnis, daß das künftige Zeitalter schon angebrochen ist. Das künftige Zeitalter (wir wissen es selbst) ist für uns erst partiell heraufgekommen; obwohl erkauft, sind wir dennoch sündhaft; obwohl in der Vereinigung mit Christus, sind wir nicht wie Er makellose Lämmer; obwohl wir die Gabe des Heiligen Geistes empfangen haben, brennen wir nicht in einer hellen Flamme, sondern trübe und von Zeit zu Zeit.
In diesem Sinne ist das künftige Zeitalter, die Teilhabe sowohl an der Fülle dessen, was der Mensch in Christus darstellt, als auch am Leben des Geistes in uns nur partiell ausgeprägt. Und deswegen bleibt das Festmahl der Ewigkeit, an dem wir teilhaben, Erwartung und Vorgeschmack, Sehnsucht nach ihm, aber nicht Realität in ihrer Fülle. Wir rufen den Heiligen Geist, Er kommt herab, Er erfüllt alle mit Sich: Brot und Wein werden tatsächlich zum Leib und Blut Christi; aber wir sehen sie nicht brennend und leuchtend in der göttlichen Teilhabe. Zwar empfangen wir die Geheimnisse, und in uns wird für einen Augenblick das Licht göttlicher Gegenwart entfacht, aber trübe, sacht, nicht für lange. Wir leben einerseits von jener Fülle, die uns gegeben wird - und nicht nach Maß (Joh 3,34) - , sondern die wir empfangen nach dem Maße unserer Kräfte; und andererseits leben wir in der Erwartung dessen, daß diese Göttliche Liturgie einst kein Gottesdienst, sondern Realität des ganzen Lebens sein wird, wenn dann, wie das Buch der Offenbarung sagt (Offb 21,22), im neuen Jerusalem es keinen Tempel mehr geben wird, weil Gott der Tempel ist, und es wird keinen Gottesdienst mehr geben wird, keine Opfer, sondern nur noch eins: das Leben Gottes, das wie ein Strom, wie eine Quelle in uns fließt und sprudelt.
Das ist es, was wir erwarten; dennoch ist die Göttliche Liturgie, wie wir sie jetzt kennen und wie wir sie feiern, bereits heute siegreiche Wirklichkeit, weil sie die Sünde, den Tod, den Hades besiegt. Es ist Vorgeschmack der letzten Herrlichkeit und des großen Triumphes, aber es ist schon der Sieg Gottes auf der Erde und unsere Teilhabe an diesem Sieg.
Wenn wir diese ganze grandiose Kette von Ereignissen bedenken, sehen wir, daß jedes Ereignis gewissermaßen ein Vorzeichen, eine Vision dessen ist, was sein wird, und damit zugleich eine Teilhabe an dem, was kommen wird; denn das, was kommt, ist bereits in Gott Realität, in Seiner Weisheit und in Seiner Liebe. Das Blut der Lämmer hat schon die alttestamentliche Menschheit gereinigt im Blick auf das kommende Lamm; das Blut des Lammes Christi hat schon das Geheimnis der Göttlichen Liturgie gefeiert, obwohl das, was beim Abendmahl geschah, nur ein Abbild dessen war, was in der Passionswoche und in den Ostertagen sich vollendet und was durch die Jahrhunderte in unseren bescheidenen Kirchen geschieht. Damals hielt Christus den Gottesdienst, Er, das Lamm, aber das Ereignis war noch nicht vollendet, und so blieb es ein Abbild. Jetzt vollziehen wir diesen Gottesdienst, obwohl das Ereignis abgeschlossen ist, und die Wirklichkeit der Teilhabe daran ist ganz hier, aber daß sie nicht Christus Selbst vollzieht, erinnert uns daran, daß all das noch auf der Erde ist; wir aber erwarten die kommende himmlische Herrlichkeit.¯
Aus: Stimme der Orthodoxie 1/99, Hsgb. und Chefredaktion
Erzpriester Vladimir Ivanov,
Verlag Berliner Diözese der Russisch-Orthodoxen Kirche
(Moskauer Patriarchat), S. 25 ff.
Sprache und Liturgie
ein
Beitrag zur Situation in den USA
und bei uns ???
„Es ist
wirklich ein Ärgernis
für die
Einheit der Kirche mehr als einen Bischof in einer Stadt zu haben; es
widerspricht den heiligen Kanones und der orthodoxen Ekklesiologie. Es
ist ein Ärgernis, das verschlimmert wird, wann immer
ethnozentrische Motive eine Rolle spielen, eine Praxis, die von der
Orthodoxen Kirche im letzten (19.) Jahrhundert heftig kritisiert
wurde.“
Der verstorbene Ökumenische Patriarch Dimitrios von
Konstantinopel
Es war einmal, vor einer Generation, dass ein griechischer Amerikaner zu sein bedeutete, etwas über die griechische Sprache zu wissen. Könnten wir ein „instant“-Griechisch haben, also durch eine „Schöne Neue Welt“-Methode Griechisch ohne Anstrengung im Schlaf lernen, würden sogar heute viele griechische Amerikaner mitmachen. Aber das Erlernen und der Gebrauch von Griechisch verlangt eine bewusste Anstrengung und diese Anstrengung scheuen im Großen und Ganzen die in Amerika geborenen Eltern für ihre Kinder und besonders für die Kinder aus Mischehen. Immer mehr wird statt der griechischen Sprache die Mitgliedschaft in der Griechisch-Orthodoxen Kirche zum Merkmal griechischer Identität in Amerika.
Das Problem der Sprache und Liturgie in der Griechisch-Orthodoxen Kirche in diesem Land (d.i. USA) ist ärgerlich. Das orthodoxe Christentum hält an einer Tradition fest, dass Liturgiesprache und Landessprache gleich sein sollen. Aber wir müssen anerkennen, dass viele griechische Muttersprachler (aber keineswegs alle) und einige in Amerika geborene den großen und verständlichen Wunsch haben, die Muttersprache in diesem Lande zu erhalten. Diese Haltung wiederum stößt bei denen, für die Griechisch eine fremde Sprache ist, auf Unverständnis.
Was die Sprachenfrage noch zusätzlich erschwert, ist, dass die Liturgie von einzigartiger Wichtigkeit in der Ostkirche ist. Die Gegenwart und die Teilnahme von Laien an der Liturgie ist unverzichtbar. Ein orthodoxer Priester kann die Eucharistie nicht ohne die Beteiligung von Laien zelebrieren. Der Kirchgänger möchte seinen Glauben angemessen, ja inspirierend, wiederfinden, verkörpert in den Worten und Handlungen der Liturgie, dem Teil der religiösen Erfahrung, der das beherrschende und beständigste öffentliche Bekenntnis darstellt und die meisten Herzen bewegt. Orthodoxe Christen werden, mehr als westliche Christen, in ihrer Bindung zum Christentum durch die Liturgie geformt.
Schon 1927 kam ein Bischof in Boston zur Überzeugung, dass Griechisch-orthodoxe als gläubig betrachtet werden können, auch wenn sie kein Griechisch verstehen. Aber da war er noch ein Rufer in der Wüste. Erzbischof Athenagoras war in Sprachenfrage konservativ, wahrscheinlich um einen Streit mit den Laien der Kirchenvorstände zu vermeiden. Sogar in den Sonntagsschulen wurde der Gebrauch des Griechischen als Unterrichtssprache bis in die 40er Jahre verlangt. Ernsthafte Vorschläge für eine Liturgie in Englisch wurden in den 50ern gemacht, aber Erzbischof Michael erlaubte Englisch nur in der Predigt. Während der 50er Jahre geschah eine größerer Umschwung in der griechisch-orthodoxen Zuwendung zu den in Amerika Geborenen durch die von Laien geführte griechisch-orthodoxe Jugend von Amerika (GOYA). Bezeichnenderweise erlaubte Erzbischof Michael Englisch als GOYAs offizielle Sprache. GOYA diente als Keimzelle für eine Generation von Laienmitarbeitern in der griechisch-orthodoxen Gemeinschaft.
Im Jahre 1964 erlaubte der Kleriker-Laien-Kongress, dass bestimmte Lesungen und Gebete in der Liturgie in Englisch wiederholt werden. Im wichtigen Kleriker-Laien-Kongress von 1970 wurde, nach einem persönlichen Appell von Erzbischof Iakovos, eine Liturgie in Englisch erlaubt, abhängig von der Beurteilung durch den Gemeindepfarrer und der Zustimmung des Bischofs. Das Fortschreiten zum Englischen wäre unvermeidlich gewesen und relativ glatt gegangen, wäre nicht in den späten 60er und frühen 70er Jahren ein großer Zustrom von neuen Immigranten aus Griechenland gekommen. Mit ihrer Ankunft konnten sich die älteren Traditionalisten mit einer jüngeren Gläubigenschar, die der griechischen Sprache verpflichtet war, vereinigen. Die Griechisch-Orthodoxe Kirche war eigentlich im Jahre 1965 eher für Englisch bereit als 1980. Während der 80er Jahre jedoch begann der Trend zu Englisch wieder eindeutig anzusteigen. Tatsächlich beherrschten sogar einige der neu ordinierten Priester die griechische Volkssprache nur sehr mangelhaft.
Das Sprachproblem löst sich in mancher Hinsicht von selbst außerhalb der Liturgie. Der Sprachgebrauch in den Gemeindetreffen, offiziellen Begegnungen und bei Gesprächen spiegelt im Wesentlichen den vorherrschenden Gebrauch unter den Anwesenden wider. Mit etwas Toleranz auf beiden Seiten hat keiner mehr ein ernsthaftes Sprachproblem. Aber die Liturgie bleibt die Quelle eines Zanks um die Sprache. Keiner der verschiedenen Kompromisse – das Singen von Teilen der Liturgie in beiden Sprachen, ein Gottesdienst teils in griechisch teils in englisch, jeden Sonntag abwechselnd die andere Sprache – ist ganz befriedigend. Die Politik der Kirche einer „flexiblen Zweisprachigkeit“, einer Mischung von Griechisch und Englisch, je nach den Anteilen einer Sprache in der Gemeinde, kann nur als vorübergehende Notlösung gesehen werden. Es ist tatsächlich in sich widersprüchlich, wenn Predigt und Bekanntmachungen in den meisten unserer Kirchen in Englisch sind, während die Liturgie in Griechisch ist.
Die Anwendung einer Liturgie in Englisch in der Griechisch-Orthodoxen Kirche in diesem Land wird behindert durch die Tatsache, dass es keine autorisierte Übersetzung der Liturgie gibt. Genau so bedrückend ist, dass es keine gemeinsame Anstrengung gibt, eine Liturgie in englischer Sprache an die liturgische Musik anzugleichen. Die Zeit ist überreif für eine Kommission, die aus Leuten besteht, die gut beschlagen sind in Theologie, Liturgiegeschichte, den Vertracktheiten der englischen und griechischen Sprache und in Kirchenmusik.
Der Mangel einer autorisierten Liturgie in der griechisch-orthodoxen Erzdiözese sollte aber nicht als Vorwand für Nichtstun dienen. Die Antiochenisch-Orthodoxe Kirche (1938) und die Orthodoxe Kirche in Amerika (1971) benutzen seit Jahrzehnten erfolgreich das Englische als hauptsächliche liturgische Sprache und es gibt keinen Grund zu glauben, dass die griechische Erzdiözese nicht das Gleiche tun kann.
Orthodox Christian Laity, Übers. G. Wolf
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