So
bleibt mir letztlich doch ein Bittgebet,
indem ich Gott darum bitte,
dass sein Geist für mich eintritt.
Kurz:
Gott ich bitte dich, lehre mich beten.
Pater Philipp Reichling
Als
ob das mal so einfach wäre?
Ein Stoßgebet, eine kurze Bitte an Gott – und schon
wird alles wieder gut.
So jedenfalls erzählt das der aktuelle Kinofilm
„Breakthrough. Zurück ins
Leben“
der amerikanischen Regisseurin Roxann Dawson – nach einer
wahren Geschichte.
John, ein 14jähriger Junge bricht auf einem zugefrorenen See
im Eis ein. Es
dauert 15 Minuten, dann wird er tot geborgen. Und weitere 30 Minuten
lang wird
er reanimiert im Krankenhaus – vergeblich.
Johns Mutter will den plötzlichen Tod nicht akzeptieren,
betritt die
Notaufnahme, sieht den leblosen Körper ihres Sohnes und fleht
laut:
„Bitte Gott,
schick den Heiligen Geist, um meinen Sohn zu retten“.
Darauf
beginnt das Herz des Jungen wieder zu schlagen.
Als
ob das Mal so einfach wäre?
Ein Stoßgebet, eine kurze Bitte an Gott – und schon
wird alles wieder gut.
Werden
Bitten eigentlich von Gott erhört?
Und hat das Gebet Einfluss auf das Leben oder das Schicksal?
Folgt man dem Film „Breakthrough“, dann scheint das
wohl zu stimmen.
Und wer sich etwas in der Bibel auskennt, der findet auch gleich noch
einen
passenden Spruch dazu.
So sagt Jesus schon zu seinen Jüngern (Mt 17,20):
„Wenn euer Glaube auch nur so
groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg
sagen:
Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken.
Nichts wird euch unmöglich
sein.“
Und zum besseren Verständnis muss man sich dazu in Erinnerung
rufen: Ein
Senfkorn ist winzig klein.
In „Breakthrough“, dem Film, versetzt der Glaube
offenbar solche „Berge“ und
lässt Tote wieder lebendig werden.
Aber was bedeutet das dann umgekehrt, wenn meine Bitte nicht
erfüllt wird: War
dann mein Glaube einfach nicht groß genug, noch nicht einmal
so groß wie ein
Bruchstück eines winzigen Senfkorns?
Und grundsätzlich gefragt: Lässt sich Glaube
überhaupt messen?
Also
– ich halte davon nichts.
Ich wüsste gerne mal die Maßeinheit, mit der das
möglich sein sollte.
Erfolg? Erhörte Gebete? Das wäre ja wie eine
Leistungsspirale: Der Grad meiner
Gebetserhörung sagt etwas aus über die
Größe meines Glaubens bzw. über die
Kleinheit meines Glaubens. Je mehr meine Gebete erhört werden,
desto gläubiger
bin ich – und je weniger meine Gebete erhört werden,
desto ungläubiger bin ich.
Ich
muss zugeben: Gemessen an diesem Schema bin ich
dann wahrlich ein Kleingläubiger. Aber wer kann mir denn den
Zusammenhang
zeigen zwischen Glauben und Gebetserhörung.
Ist es nicht eher so, dass Menschen oft erst im Nachhinein sagen:
„Es ist gut gegangen, Gott hat meine Bitte
erhört.“,
und sich selbst damit eine Deutung geben:
„Mein Glaube hat geholfen!“ Das ist
natürlich schön, wenn Menschen so etwas
erfahren, erfahren dürfen.
Aber
jetzt stelle man Sie doch mal den Umkehrschluss
vor.
Wäre das nicht zynisch zu sagen:
Du hast keinen Erfolg mit deiner Bitte, also bist du
ungläubig!
Wer will da Richter sein und das beurteilen?
Was ist denn mit all denjenigen, die gebetet, gebittet, gefleht haben
und deren
Gebete nicht erhört wurden: die Totkranken, die trotz Gebetes
vorzeitig
verstorben sind, die Flüchtlinge, die trotz Bittgebetes nicht
in ihre Heimat
zurückkehren können.
Sind sie alle kleingläubig oder gar ungläubig?
Wenn
ich einmal unterstelle:
Es gibt diesen Zusammenhang nicht zwischen Glauben und Gebet auf der
einen
Seite und Gebetserhörung auf der anderen, dann muss ich mir
auch die Fragen
stellen:
Warum soll ich dann überhaupt noch Gott um etwas bitten? Ist
das nicht müßig?
Warum
ich heute über das Bitten spreche,
das hat mit der Zeit im Kirchenjahr zu tun,
in der sich die Christen gerade befinden.
Die Zeit vor Christi Himmelfahrt.
Natürlich:
Gott um etwas zu bitten, gehört wohl zu den
religiösen Urformen und Urgesten
des Menschen und geschieht wohl häufig.
Bei den Christen verdichtet sich das aber besonders in den
nächsten drei Tagen
bis zum Fest Christi Himmelfahrt.
Es ist das Fest, das daran erinnert, dass Christus als Auferstandener
nach
seiner Zeit auf Erden „in den Himmel aufgefahren“
ist.
Gerade im Volksglauben war die Vorstellung sehr einfach:
Wenn Jesus dann Richtung Himmel steigt, kann er ja die Bitten noch
möglichst
„betfrisch“ mitnehmen von der Erde.
Zugegeben,
das ist ja ein sehr einfach gestricktes
Bild, aber auch aus einfachen Glaubensvorstellungen strickt sich das
christliche Überlieferungsnetz, bis heute.
Und noch heute gibt es in einigen Teilen der katholischen Kirche
– besonders in
Süddeutschland und Österreich – den
besonderen Brauch der Flurprozessionen an
den Tagen vor Christi Himmelfahrt.
Da geht es vor allem um das Gebet und die Bitten um eine gute Ernte.
Als ich nach meinem Eintritt ins Kloster im Noviziat in
Österreich war, habe
ich an so einer Flurprozession teilgenommen.
Es war auch an einem Tag vor Christi Himmelfahrt. Am Nachmittag
versammelten
sich viele Gläubige aus der Kirchengemeinde und zogen los:
raus aus der Klosterkirche und rein in die Natur auf Äcker und
Felder mit
kräftiger Blasmusik.
Die
Leute trugen bei der Prozession festliche Kleider:
Trachtengruppen mit Goldhauben oder anderen bunt gestickten
Kopftüchern.
Fahnenträger waren dabei und natürlich die Messdiener
mit Weihrauch, Kreuz und
Laternen – Messdienerinnen gab es damals dort noch nicht. Es
wurden Lieder
gesungen und eben Bittgebete vorgetragen, die Heiligen angerufen und
ganze
Litaneien gebetet. Und schließlich wurde dann ein sogenannter
Wettersegen
erteilt, um damit einer schlechten Ernte vorzubeugen. Dazu wurde ein
besonderes
Kreuz verwandt:
Reich geschmückt birgt dieses Kreuz nämlich eine
kostbare Reliquie, ein Stück
vom Holzkreuz, an dem Jesus gestorben ist. Und mit diesem
Reliquienkreuz
verbinden viele Gläubige offenbar eine besondere Segensmacht:
Der Segen mit diesem Kreuz soll vor allem vor Gewitter und Hagel
schützen,
damit Korn, Obst und Gemüse gut gedeihen und nicht verderben.
Übrigens:
Flurprozessionen finden sich in vielen alten Religionen. Die
Götter sollten
milde gestimmt werden. Das liegt natürlich nahe, denn in den
archaischen
Kulturen spielte die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. Ernte
oder
Missernte entschied nicht selten über Leben und Tod. Also tat
man alles, damit
die Natur es gut mit einem meinte, die Ernte reich ausfiel und das
Überleben
gesichert war. Und so opferte man den Göttern.
Bei den Römern in der Antike zum Beispiel kennt man bereits
Bittprozessionen,
die aus der Stadt heraus aufs Land führten. Die Menschen
wandten sich an den
Gott Robigus oder die Göttin Robiga und opferten Tiere, um
Schaden vom Getreide
abzuwenden. Die Christen griffen dann später diesen Kult auf
und ersetzten ihn
durch eine Bittprozession mit eigenen Riten und Gebeten.
Auch
in Gallien findet man christliche
Bittprozessionen schon recht früh. Im 5. Jahrhundert
führte sie der christliche
Bischof Mamertus von Lyon ein, um die Menschen vor Missernten, aber
auch vor
Erdbeben und anderen Katastrophen zu schützen.
Und dieser Brauch weitete sich dann nach und nach weiter aus.
Mamertus
legte bereits die Prozessionen auf die Tage
vor Christi Himmelfahrt fest. Man kann sich das quasi bildlich so
vorstellen:
Die Gläubigen geben ihre Gebete und Bitten Jesus mit, wenn er
zu seinem Vater
in den Himmel aufsteigt.
Salopp formuliert:
Jesus ist an Christi Himmelfahrt der Postbote für die
Gläubigen. Denn in den
Tagen zuvor hat man ihm all die Gebet und Bitten
„zugesteckt“ oder besser
gesagt „zugerufen“.
Zugegeben – das alles zeugt von einer etwas naiven
Vorstellung.
Und kein Wunder: Einer meiner Professoren im Theologiestudium hat das
aufklärerisch aufgespießt und das Ganze
scherzhafterweise bezeichnet als „Düngung
mit vorrationalen Mitteln“.
Aber
was hat es nun mit den Bitten dann noch auf sich?
Warum eigentlich bitten?
Kann
ein Bittgebet etwas verändern, zum Beispiel für
eine gute Ernte sorgen?
Oder ist das nicht alles bloß naives, unaufgeklärtes
Gerede?
Werden Bitten von Gott überhaupt erhört?
Sicherlich wird der eine oder die andere genau das sagen:
„Ja, Gott hat mein
Bitten und Beten erhört.“ „Die Ernte war
gut, also war das Gebet auf der
Flurprozession erfolgreich.“
Natürlich kann man das im Nachhinein sagen, wenn die Bitte in
Erfüllung
gegangen ist. Und dann ist es eine ganz persönliche Deutung
des Lebens oder des
Schicksals.
Aber was sagt man dann, wenn die Ernte ausbleibt, wenn eine Bitte eben
nicht in
Erfüllung geht?
Warum hat Gott denn hier nicht eingegriffen und geholfen?
Warum setzt er zum Beispiel den Kriegen kein Ende, wenn so viele
Menschen darum
bitten?
Warum hilft Gott hier und nicht da, wo die Not vielleicht viel
größer ist? Ist
das nicht alles ungerecht und unverständlich?
Warum
dann eigentlich noch Bitten?
Ich persönlich
glaube ja, dass Bitten immer noch sinnvoll ist.
Nicht
in dem Sinne, dass
Gott dann eingreift und die Welt
verändert, wenn ich
ihn nur inständig genug darum bitte. Nein, nicht so.
Das
Bittgebet
verändert zunächst einmal mich selbst.
Und das ist sehr wichtig.
Wenn
ich nämlich um
etwas bitte, dann gestehe ich mir doch
selbst zunächst
einmal ein:
Hier
bin ich an meine
Grenzen gekommen.
Ich
brauche Hilfe.
Und
einen Schritt weiter
gedacht:
Nicht
alles liegt in meiner
Macht.
Ich
habe nicht alles im
Griff, denn ich bin kein allmächtiger
Gott, sondern
eher ein ohnmächtiger,
ein
fragiler, zerbrechlicher
Mensch.
So
gesehen führt
das Bittgebet zu einer Selbsterkenntnis und
führt mich dazu,
mich selbst in meinen selbst erkannten Grenzen besser anzunehmen.
Und auch die Flurprozession macht das deutlich.
Trotz
aller Fähigkeiten, aller technischen
Möglichkeiten in der Landwirtschaft:
Ich bleibe als Mensch Dingen ausgesetzt, die ich letztlich nicht
beherrsche und
nicht bestimmen kann, die ich bestenfalls nur annehmen kann, wie
Naturgewalten,
zum Beispiel Hagel und Gewitter.
Und genau das kann ich einüben:
Annehmen, was nicht in meiner Macht steht.
Lernen zu akzeptieren:
Das Allermeiste in dieser Welt ist nicht perfekt.
Und zu dieser Erkenntnis und zur Annahme dieser Erkenntnis verhilft das
Bittgebet.
So
gesehen kann das Bittgebet doch etwas bewirken: Es
verändert die Wirklichkeit – indem es mein
Verhältnis zu dieser Wirklichkeit
verändert, weil ich durch das Bitten meine eigenen Grenzen
begreife und damit
mich selbst besser erkenne.
Und
daher bete ich immer noch zu Gott,
wissend,
wie schwierig es ist, Gott um etwas zu bitten.
Dabei
finde ich allerdings bei dem Apostel Paulus eine
Hilfe.
Der schreibt nämlich in einem Brief an Christen in Rom von
dieser Ohnmacht und
Schwachheit des Menschen und seines Gebetes.
Da heißt es (Röm 8,26):
„So nimmt sich auch der Geist (Gottes) unserer Schwachheit
an.
Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise bitten sollen; der
Geist
selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in
Worte fassen
können.“
So bleibt mir letztlich doch ein Bittgebet, indem ich Gott darum bitte,
dass
sein Geist für mich eintritt.
Kurz: Gott ich bitte dich, lehre mich beten.
Ich
wünsche Ihnen einen schönen Sonntag
Ihr
Pater Philipp Reichling aus Duisburg