Aktuelles
2003                     2004


Patriarch von Moskau und der ganzen Rus' Aleksij II.: Osterbotschaft
Bischof Hilarion von Wien und Österreich: Osterbotschaft
Bischof Hilarion von Wien und Österreich: Ostern ist immer

Philipp Harnoncourt: Auf dem Weg zum leeren Grab

 

  Wiener Alt-Erzbischof und Brückenbauer nach Osten
  Franz Kardinal König gestorben

Kardinal König:   "Der langwierige Weg nach Europa"

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Orthodoxe Christen gedachten Kardinal Königs im Stephansdom

Wien,  28.3.04  (KAP)  Im  Zeichen  der  Dankbarkeit  für  die  "vorbildliche,  einmalige  und  großartige ökumenische Pionierarbeit" Kardinal Königs stand am Freitagnachmittag ein orthodoxes Totengedenken am Sarg des verstorbenen Alterzbischofs im Wiener Stephansdom.

An dem Totengedenken wirkten mit Metropolit Michael Staikos und dem russisch-orthodoxen Bischof Hilarion  (Alfejew) an  der  Spitze  alle  orthodoxen Seelsorger Wiens mit.
Kardinal Christoph Schönborn war bei dem Totengedenken anwesend.

Die Gebete und Gesänge erklangen in den verschiedenen  Sprachen  der  orthodoxen  Gemeinden, aber auch auf deutsch. Das Vaterunser wurde gemeinsam gebetet.

 

Es war das erste Mal, dass in Europa am Sarg  eines  katholischen  Bischofs  ein  orthodoxes Totengedenken stattfand.

 

Außergewöhnlich war auch das Zusammenwirken aller orthodoxen Kirchen, angefangen von den Kirchen von Konstantinopel und Moskau.

 

"Dieses Gedenken war ganz im Geist Kardinal Königs“ fasste treffend die Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Oberin Christine Gleixner zusammen.

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Der Erzbischof von Wien Kardinal Christoph Schönborn besuchte die russisch-orthodoxe Kathedrale des Hl. Nikolaus in Wien

Am 7. Jänner 2004, dem Fest der Geburt Christi, besuchte der Erzbischof von Wien Kardinal Christoph Schönborn die Kathedrale des Hl. Nikolaus in Wien. Am Kircheneingang wurde er vom Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche bei den europäischen Internationalen Organisationen, dem Bischof von Wien und Österreich Hilarion begrüßt. Der Kardinal wurde zur linken Chorrampe geleitet, von wo er der Göttlichen Liturgie folgte, die Bischof Hilarion in Konzelebration mit dem Pfarrer der Kathedrale Erzpriester Vladimir Tyschuk und den Kathedralklerikern Erzpriester Chrysostomos Pijnenburg und Priester Radoslav Ristic und dem Kleriker der Kathedrale zu Mariä Entschlafung in Budapest Diakon Kyrill Tatarka feierte. Vor dem Beginn des eucharistischen Kanons tauschten Kardinal Schönborn und Bischof Hilarion den Friedenskuss aus.

Nach dem Entlassungsgebet der Göttlichen Liturgie wandte sich Bischof Hilarion in seinem Namen und im Namen der Pfarrangehörigen der Kathedrale zum hl. Nikolaus mit einem Grußwort in deutscher Sprache an den hohen Gast. Kardinal Schönborn begrüßte seinerseits Bischof Hilarion und seine Herde herzlich. (Die Grußworte sind unten beigefügt.)

Nach Beendigung des Gottesdienstes wurde im Refektorium der Kathedrale ein Mittagessen gegeben, während dessen das Oberhaupt der Wiener Erzdiözese der Römisch-Katholischen Kirche die Möglichkeit hatte, sich mit den Klerikern und den Gläubigen der Diözese von Wien und Österreich der Russischen Orthodoxen Kirche zu unterhalten.

 

 

 

Grußwort des Bischofs Hilarion
 an den Erzbischof von Wien Kardinal Christoph Schönborn
aus Anlass seines Besuches in der Russischen orthodoxen Kathedrale des Hl. Nikolaus am 7. Januar 2004

 

Eure Eminenz!
In meinem Namen und im Namen der Russisch-orthodoxen Gemeinde Österreichs begrüße ich Sie herzlich in diesem heiligen Gotteshaus, der Kathedralkirche der Diözese von Wien und Österreich des Moskauer Patriarchats. Diese am Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Kirche ist bis heute eine der architektonischen Sehenswürdigkeiten Wiens. Obwohl sich die Kirche auf dem Territorium der Russischen Botschaft befindet, sind die Pfarrangehörigen nicht nur Russen, sondern auch Ukrainer, Belorussen, Moldawer, Georgier, Österreicher und Vertreter anderer Nationalitäten. Das hängt in erster Linie mit dem multinationalen Charakter der Russischen Orthodoxen Kirche selbst zusammen, die mehr als einhundert Millionen orthodoxe Christen vereinigt, die in verschiedenen Ländern leben und verschiedene Sprachen sprechen.

Heute feiert unsere Kirche das Fest der Geburt Christi. „Heute ist Gott auf die Erde gekommen, und der Mensch ist in den Himmel gestiegen“, heißt es in einem Kirchenlied. Gott wurde Mensch, um uns den Weg in den Himmel zu eröffnen, um unser Leben mit neuem Inhalt zu füllen und um uns Hoffnung auf Heil zu schenken. Wir haben heute auch darum gebetet, dass jeder von uns Teilhaber an diesem großen und verborgenen Heilsgeheimnis werde, das durch das in Bethlehem geborene Christuskind geoffenbart wurde.

Wir haben auch unser inständiges Gebet um den Frieden auf der ganzen Welt, um den Wohlbestand der heiligen Kirchen Gottes und um die Vereinigung aller verrichtet. Zwei Jahrtausende sind nach der Geburt Christi vergangen, aber auf der Erde gibt es nichts Ersehnteres als den Frieden: Viele Länder, darunter auch das Heimatland unseres Erlösers, sind weiterhin eine Arena kriegerischer Konflikte. Fast eintausend Jahre sind vergangen seit der tragischen Spaltung zwischen den Christen des Ostens und Westens, und die Einheit der christlichen Welt ist noch immer nicht wiederhergestellt. Wir sind betrübt darüber, aber wir glauben daran, dass der Herr imstande ist, die zwischen den Menschen errichteten Barrieren niederzureißen. Wir sind dessen eingedenk, dass das Streben nach Überwindung der existierenden Trennungen, nach Wiederherstellung der Einheit der Kirchen und nach Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens unter den Christen der verschiedenen Konfessionen unsere unmittelbare Pflicht ist.

Das „österreichische Modell“ der zwischenchristlichen Zusammenarbeit kann für viele Regionen der Welt als Beispiel dienen, in denen das Niveau des gegenseitigen Verständnisses von Orthodoxen und Katholiken bedeutend niedriger ist. Einen bedeutsamen Beitrag zur Schaffung dieses Modells hat Ihr Vorgänger Kardinal Franz König geleistet, dessen Werk Sie, Eminenz, in würdiger Weise fortsetzen. Als einer der führenden Hierarchen der Römisch-Katholischen Kirche empfinden Sie gleichzeitig auch eine tiefe Liebe zur Orthodoxie, was nicht nur Ihre kirchliche Tätigkeit zeigt, sondern auch Ihre theologischen Werke, die der Tradition der Ostkirche gewidmet und in der orthodoxen Welt weit bekannt sind.

Erlauben Sie mir, Eure Eminenz, Sie zum Schluss zum Fest zu beglückwünschen, für Ihren Besuch zu danken und Ihnen die kraftvolle Hilfe Gottes im Dienst der Kirche und im Werk der christlichen Einheit zu wünschen. Unser in Bethlehem geborene Herr Jesus Christus bewahre Sie auf viele und gute Jahre!

 

 

Ansprache Seiner Eminenz des Erzbischofs von Wien Kardinal Dr. Christoph Schönborn
 in der russisch-orthodoxen Kathedrale des Hl. Nikolaus in Wien am 7. Jänner 2004

 

Vladyko, liebe Brüder und Schwestern!
Mit großer Dankbarkeit durfte ich heute das hohe Weihnachtsfest mit Ihnen zusammen in dieser so schönen und mir lieben Kathedrale feiern. Ich war in dieser Kathedrale zum ersten Mal im Jahr 1968 als Student, als Bischof Melchisedek hier Bischof von Wien und Österreich war. Mit großer Dankbarkeit erinnere ich mich an den Besuch Seiner Heiligkeit des Patriarchen Aleksij hier in dieser Kathedrale im Jahr 1997, wo ich auch Gast sein durfte. Im selben Jahr hatte ich die Freude, Sie, Vladyko, in Moskau kennen zu lernen, als ich als Gast Seiner Heiligkeit Moskau und St. Petersburg besuchen durfte. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass wir die Freude haben werden, dass Sie einmal als Bischof der Russischen Orthodoxen Kirche für Wien und Österreich zu uns kommen werden. Ich konnte zu Ihrer Einführung in die Kathedrale nicht kommen, umso mehr freut es mich, dass ich heute das Weihnachtsfest mitfeiern durfte.

Christus ist geboren als kleines Kind in einem armen Stall in Bethlehem. Gott hat sich so klein gemacht, um bei uns zu sein. Das muss unser Herz bewegen, wenn Gott so demütig ist, dass auch wir miteinander demütig sind. Wenn Gott so barmherzig ist mit uns, dann müssen auch wir miteinander barmherzig sein. Der hl. Maximus hat gesagt: „Nichts kann das menschliche Herz mehr bewegen als die Barmherzigkeit und die Demut Gottes.“

Die Spaltung zwischen unseren Kirchen ist oft auch das Ergebnis unserer menschlichen Sünden. Und deshalb dürfen wir, wenn wir bei der Krippe von Bethlehem miteinander beten, nur Gott bitten, dass Er uns unsere Sünden verzeiht und dass wir neu lernen, miteinander barmherzig zu sein, auch zwischen unseren Kirchen, dass Wahrheit und Liebe sich umarmen, wie der Psalm sagt. Und in diesem Sinne, Vladyko, freut es mich, dass wir heute einander den Friedensgruß geben durften. Möge dieses Zeichen auch ein Zeichen der Hoffnung sein.

Ich darf Sie, Vladyko, bitten, Seiner Heiligkeit dem Patriarchen Aleksij meine herzlichen und ergebenen Weihnachtsgrüße zu übermitteln. Und auch Ihnen sage ich für Ihren Dienst in Wien und in Österreich ad multos annos – mnogaja leta, Vladyko. Und allen ein gesegnetes, freudiges, ja auch fröhliches Weihnachtsfest!

 

 

 


Wiener Alt-Erzbischof Franz Kardinal König gestorben

Franz Kardinal König ist in der Nacht auf Samstag, 13. März, gestorben. Der Wiener Alterzbischof, der im 99. Lebensjahr stand, starb gegen drei Uhr im Schlaf.

Geboren am 3. August 1905 als ältester Sohn einer Bauernfamilie in Warth bei Rabenstein an der Pielach in der Diözese St. Pölten, besuchte Franz König das Stiftsgymnasium Melk, wo er 1927 die Matura mit Auszeichnung ablegte.

Im Herbst 1927 begann er sein Studium der Philosophie und der Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana, sowie altpersische Religion und Sprachen an der Orientalistischen Fakultät des Päpstlichen Bibelinstitutes in Rom. 1930 wurde er zum Dr.phil. promoviert und am 29. Oktober 1933 in Rom zum Priester geweiht. Von 1934 bis 1937 war er in seiner Heimatdiözese als Kaplan in Altpölla, Neuhofen an der Ybbs, St. Valentin und Scheibbs in der praktischen Seelsorge an der Basis tätig. In dieser Zeit vollendete er auch seine theologischen Studien und wurde 1936 zum Dr.theol. promoviert. Ab 1938 war König Domkurat in St. Pölten und Jugendseelsorger der Diözese. Ein besonderes Anliegen war ihm die Kriegsgefangenenseelsorge, bei der ihm seine Russischkenntnisse sehr hilfreich.

1945 wurde er Religionsprofessor in Krems und habilitierte sich in Wien als Privatdozent für Religionswissenschaften im Rahmen des Faches der alttestamentlichen Wissenschaften. König ist bis heute einer der besten Kenner der Ideenwelt der altiranischen Religion des Zarathustra. 1947 erschien sein Buch "Das Alte Testament und die altorientalischen Religionen". 1948 erfolgte die Berufung als außerordentlicher Professor für Moraltheologie nach Salzburg. Hier leistete er die Hauptarbeit an dem großen religionsgeschichtlichen Werk "Christus und die Religionen der Erde" (1951), das als Standardwerk der Religionswissenschaft angesehen wird und viele Auflagen erlebte.

Am 31. Mai 1952 ernannte Papst Pius XII. König zum Titularbischof von Livias und Koadiutor mit dem Recht der Nachfolge des St. Pöltener Bischofs Michael Memelauer. Am 31. August 1952 erfolgte die Bischofsweihe im Dom zu St. Pölten durch Bischof Michael Memelauer. Im Herbst desselben Jahres wurde er von den österreichischen Bischöfen zum Referenten für Jugendfragen gewählt. 1956 erschien sein "Religionswissenschaftliches Wörterbuch".

Am 10. Mai 1956 ernannte Papst Pius XII. König zum Erzbischof von Wien, am 17. Juni erfolgte die Inthronisation. König wählte als Motto eine Stelle aus dem Epheserbrief des Apostels Paulus "Veritatem facientes in caritate" (Die Wahrheit in Liebe tun). In das Kardinalskollegium wurde er am 15. Dezember 1958 von Papst Johannes XXIII. aufgenommen.

Am 21. Februar 1959 wurde Kardinal König für kurze Zeit zum Militärvikar für Österreich ernannt. Als Erzbischof von Wien war König Befürworter und Motor einer den Menschen nachgehenden Seelsorge. Er selbst unternahm viele hunderte von Besuchen in Pfarren, aber auch Betrieben und Schulklassen, um mit arbeitenden Menschen und mit der Jugend in persönlichen Kontakt zu kommen.

1965 vertraute ihm Papst Paul VI. die Leitung des neugegründeten vatikanischen Sekretariates für die Nichtglaubenden an. In dieser Funktion nahm Dr. König auch regelmäßig am "Vatikanischen Ministerrat", der Arbeitssitzung der Vorsitzenden der Kurienorgane, teil.

Als spezifische Aufgabe des Erzbischofs von Wien sah Kardinal König die Überwindung der Isolierung der Kirche im kommunistischen Machtbereich durch Herstellung brüderlicher Kontakte der Kirche in Österreich zu den Nachbarkirchen im Osten. Er selbst reiste als erster "westlicher" Kardinal nach Osteuropa. Bei der ersten dieser Reisen - der Fahrt zum Begräbnis des Zagreber Kardinals Stepinac - erlitt er am 13. Februar 1960 bei einem Autounfall schwere Verletzungen. Später unternahm der Kardinal zahlreiche Besuche in fast allen Oststaaten, die stets der Begegnung mit Bischöfen, Priestern und Gläubigen der Kirche dieser Länder dienten.

Im Auftrag von Johannes XXIII. fuhr er am 18. April 1963 erstmals in die amerikanische Gesandtschaft nach Budapest, um mit dem dort im Asyl lebenden ungarischen Primas Mindszenty zu sprechen. Diese Besuche wiederholten sich in den folgenden Jahren und führten schließlich zur Ausreise Mindszentys. Von Anfang an bildeten ökumenische Kontakte einen weiteren Schwerpunkt von Kardinal Königs Wirken.

Durch Besuche beim Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel, beim rumänischen Patriarchen in Bukarest, beim koptischen Patriarchen in Kairo, beim serbischen Patriarchen und zahlreichen anderen führenden Persönlichkeiten wurden entscheidende Kontakte für den Dialog mit den orthodoxen Kirchen geknüpft. Eine besondere Funktion übernahm dabei die von König 1964 gegründete Stiftung "Pro Oriente", die vor allem durch ihre internationalen ökumenischen Symposien dem theologischen Gespräch weitreichende Impulse zu geben vermochte. Großes Interesse brachte Kardinal König - auch als Wissenschaftler - den nichtchristlichen Religionen entgegen. 1964 leitete er im Rahmen des Eucharistischen Weltkongresses in Bombay das große Religionsgespräch, an dem Vertreter aller Weltreligionen teilnahmen. Auf vielfältige Weise trug Kardinal König zum Dialog der katholischen Kirche mit Judentum und Islam bei.

 

  

Der langwierige Weg nach Europa

Kardinal Franz König

Der Weg nach dem neuen, gemeinsamen Europa ist langwierig und schmerzlich. Dies verlangt einerseits vom Westen des Kontinents ein besonderes Maß an Solidarität. Für Österreich andererseits ist aber ein Prozeß der Bewußtwerdung im Gange, daß dieses Land in Europa aufgrund seiner geographischen Lage, besonders seiner Geschichte des ehemaligen Habsburgerreiches eine Verbindungsfunktion, eine Brückenfunktion besonderer Art zur Kenntnis nehmen soll. Hier, an der ehemaligen Grenze zweier Welten, sozusagen, - der Eiserne Vorhang war bis zur Wende gleichzeitig im Osten und Südosten Österreichs die Staatsgrenze - ist man deutlicher konfrontiert mit östlichen, das heißt, vor allem mit den slawischen Sprachen, mit den Folgen des abendländischen Schismas von 1054, aus dem die orthodoxen Kirchen hervorgegangen sind; hier ist die historische Begegnung zwischen Rom und Byzanz noch immer sehr lebendig, wie es uns der Balkan der Serben und Kroaten vor Augen führt. Denn das Christentum kam aus dem östlichen Byzanz nach Serbien und aus dem lateinischen Rom nach Kroatien. Daher sind die Kroaten heute römisch-katholisch und die serben seit dem Jahr 1054 orthodox. Daraus entstand trotz des gleichen Glaubensbekenntnisses und der gleichen Sprache eine Entfremdung, ein Gegensatz und eine tiefe Kluft. Und in Bosnien und in Herzegowina hatte der Islam in der Vergangenheit eine Brückenfunktion zur östlichen und westlichen Christenheit ausgeübt. Hier in Österreich kann man also mehr als anderswo die Schwierigkeiten des historischen Konfliktes einer östlich-westlichen Spannung erkennen und sich daher auch mehr als anderswo auf die Suche nach immer neuen Wegen der Verständigung machen. Wer sollte mehr Verständnis für diesen zweifellos schwierigen Prozeß haben können, als Österreich, dessen Menschen durch die Last der Geschichte, aber auch durch eine ähnliche Mentalität, ja, durch Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen immer wieder veranlaßt waren, nicht nur über die Grenzen zu blicken, sondern sie auch immer wieder zu überschreiten.

Über Einladung Papst Johannes XXIII. Überschritt ich zum ersten mal den Eisernen Vorhang in Richtung Budapest, um den dort in der amerikanischen Botschaft im Asyl befindlichen Kardinal Mindszenty zu besuchen. Noch vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils fragte mich Papst Johannes XXIII., warum ich Kardinal Mindszenty, den Primas der katholischen Kirche Ungarns, noch nicht besucht hätte. Diese Frage wurde für mich Anlaß, um einen ersten Versuch zu unternehmen, aus Wien hinaus den Eisernen Vorhang zu überschreiten, um katholische Bischöfe, Diözesen und Pfarrgemeinden des Ostens aufzusuchen. Nach Überwindung einiger diplomatischer Schwierigkeiten war dies damals auch gelungen. So wurde mir in etwa bewußt, welcher Gegensatz besteht zwischen einem östlichen und westlichen Europa. Und damit wurden mir folgende Zusammenhänge allmählich deutlicher:

Die Geschichte Zentraleuropas, durch Jahrhunderte die Geschichte des Habsburgerreiches, ist noch immer eine Kraft, die Staat und Nationen in der Mitte Europas in einer besonderen Weise verbindet. Was in der Zeit der Habsburgermonarchie in Mitteleuropa aufgebaut wurde, besteht heute noch als Gefühl gegenseitiger Verbundenheit über alle geschichtlichen Ereignisse hinweg. Das beinhaltet eine besondere Aufgabe für Österreich. Ich weise damit auf einige Beispiele hin:

Mit dem Blick auf die Zukunft Europas wird es für die junge Generation immer mehr eine Aufgabe sein, sich für Geschichte und Sprachen des slawischen Ostens zu interessieren. In Österreich soll es daher für junge Menschen ein Anliegen sein, nicht nur westliche, sondern auch östliche (slawische) Sprachen zu lernen.

Westeuropa ist gewiß nicht Europa, sondern nur ein Teil und kann weder durch Geld, noch durch wirtschaftliche Dominanz allein den Weg Europas bestimmen. Der Wunsch und der Wille der osteuropäischen Staatengruppe, genau genommen, ihr Recht, in die europäische Union aufgenommen zu werden, ist für die Zukunft Europas von großer Wichtigkeit. Wenn daher in Westeuropa die wirtschaftlichen Interessen allein entscheiden und die Bedingungen für die Aufnahme vorschreiben, so kann das eine tiefe Enttäuschung, ja, eine Abkehr Osteuropas von Europa fördern. Wer persönlich den Osten kennt, sich mit dem Osten daher auch verbunden weiß, wer um den guten Willen jener Menschen weiß, die nach dem Gang durch die kommunistische Wüste ihren Staat und ihre Wirtschaft wieder aufbauen wollen, um das sogenannte Europa-Niveau zu erreichen, der fühlt sich bedrückt durch den Eindruck, daß der Weg nach Europa scheinbar in erster Linie vom westlichen Europa abzuhängen scheint. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit einer gesicherten Wirtschaft als Grundlage einer sozialen Ordnung, scheint mir mehr Großmut und Bereitschaft zu einer direkten und moralischen Unterstützung ein Gebot der Stunde zu sein. Daher ist es angezeigt, nicht über die "Osterweiterung" zu sprechen, sondern über die "Europäisierung" des Kontinents.

Die christlichen Kirchen können hier viel mithelfen, durch ihre lebendige grenzüberschreitende Glaubensgemeinschaft. In Österreich haben wir ein praktisches Beispiel. Bereits im Jahre 1964, also noch im zweigeteilten Europa, ergab sich durch die Gründung der Stiftung "Pro Oriente" in Wien eine Möglichkeit, aus mitteleuropäischer Sicht Brücken nach dem Osten zu bauen. Diese Wiener Stiftung mit dem Hinweis auf den Namen der Stadt, die immer noch einen guten Klang in Osteuropa hat, kann so genützt werden für das ökumenische Gespräch, für ökumenische Begegnungen mit der Orthodoxie. - Unlängst hat Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel aufmerksam gemacht, daß durch "Pro Oriente" ein "Dienst der Versöhnung" geleistet werde; der Patriarch von Moskau und ganz Rußland, Alexij II., sprach von einer hundertfältigen Frucht durch die Tätigkeit von "Pro Oriente". Wenn der Amerikaner S. P. Huntington in seinem Buch "The Clah of Civilizations" (251,508) von einer historischen Scheidelinie spricht, die seit Jahrhunderten die christlichen Völker des Westens von den muslimischen und (!) orthodoxen Völkern trennt, so hat die Stiftung "Pro Oriente" durch ihre ökumenische Arbeit aufmerksam gemacht, daß durch die ökumenische Arbeit von "Pro Oriente" Brücken für das größere Europa gebaut werden können.

Mit solchen Hinweisen wird es deutlich, daß für Österreich der weg nach Europa über Mittel- oder Zentraleuropa geht. Denn hier, an den östlichen und südöstlichen Grenzen Österreichs begegnen sich Christen verschiedener Konfessionen und Sprachen, germanische, slawische, romanische, die für die Geschichte Europas von besonderer Bedeutung waren und bleiben. As ist zugleich ein kultureller Reichtum, der für das künftige Europa heute im westlichen Europa nicht ausreichend gesehen, vielleicht auch nicht verstanden wird.

An der schwelle eines neuen Millenniums stellen wir daher fest: Für das Verständnis des neuen Europas ist die Kenntnis der mitteleuropäischen Geschichte, Kultur und Religionsgeschichte wesentlich.

Wie zur Zeit eines Benedikt, zur zeit der Völkerwanderung, haben wir heute die Last und die Chance eines neuen Anfangs. Das Schicksal dieses neuen Europas aus Ost und West mit dem Akzent auf der Brückenfunktion Mitteleuropas liegt in unseren Händen; Österreich ist in besonderer Weise dafür mitverantwortlich.

 


Empfang in der Russische orthodoxe Kathedrale zum Hl. Nikolaus in Wien

Metropolit Kyrill von Smolensk und Kaliningrad: Vorlesung bei der Tagung über die Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche

Neuer Bischof für Wien
07.05.2003: Der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche ernannte Erzbischof Pawel zum Erzbischof von Rjazan und Kasimov.
Der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche entschied in der gleichen Sitzung den
Hochgeweihten Bischof HILARION (Alfeyev)
zum Bischof von Wien und Österreich zu ernennen.
Ihm wurde ebenfalls die zeitweilige Verwaltung der Diözese von Budapest und Ungarn anvertraut.
Bischof Hilarion wird diese Funktionen mit seinen Aufgaben als Repräsentant der Russischen Orthodoxen Kirche bei den Europäischen Institutionen in Brüssel verbinden.

 

Offener Brief
Seiner Heiligkeit Patriarch ALEKSIJ II,
Patriarch von Moskau und der Ganzen Rus',

an die Bischöfe, den Klerus und die Gläubigen Russischer Orthodoxer Tradition in West-Europa



Besuch S.E. des Metropoliten KYRILL von Smolensk und Kaliningrad
Vorsitzender des Aussenamtes des Moskauer Patriarchates in WIEN

S.Heiligkeit Patriarch ALEKSIJ II.:
"Die WELT auf dem KREUZWEG"

zu den neuen globalen Herausforderungen an der Jahrtausendwende


S.E. Metropolit KYRILL
"Die UMSTAENDE einer NEUEN ZEIT"

zur Bedeutung christlicher Werte im sich vereinigenden Europa

"Im Zeichen des Milleniums"
!!! All-Orthodoxe Begegnung im Heiligen Land !!!

Bild, Bericht und Botschaft

- FEIERN und BESUCHE zu "100 Jahre Hl. NIKOLAUS KATHEDRALE zu Wien"

- BEGRAEBNIS S.E. Metropolit IRINEJ von WIEN und OESTERREICH



 



Empfang in der Russische orthodoxe Kathedrale zum Hl. Nikolaus in Wien

Am 30. Oktober 2003 besuchten auf Einladung des Vertreters der Russisch-Orthodoxen Kirche bei der EU, des Bischofs von Wien und Österreich, Hilarion, die Vertreter der Christlichen Kirchen und Gemeinden die Kathedrale zum Hl. Nikolaus in Wien (Jaurèsgasse 2).

Am Empfang nahmen teil: Seine Eminenz der Metropolit von Austria, Exarch von Ungarn und Westeuropa Dr. Michail Staikos; in Vertretung des Pirmas von Ungarn, Erzbischof DDr. Peter Erdö Prälat Dr. Eörs Csordas vom Pazmaneum in Wien; Frau Oberin Professor Christine Gleixner vom Ökumenischen Rat der Kirchen Österreichs; der Superintendent der Evangelischen Kirche AB Magister Werner Horn; der Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs Bernhard Heitz; Hochw. Prälat, der Abt des Stiftes Heiligenkreuz Gregor Henckel-Donnersmarck; Kanonikus Patrick Curran von der Anglikanischen Kirche Österreichs; der Superintendent der Methodistenkirche Österreichs Lothar Pöll; Frau Maria Anna Mayr-Melnhof Mitglied des Kuratoriums von Pro Oriente; der Präsident von Pro Oriente Dr. Johann Marte und andere Mitglieder von Pro Oriente; Vertreter der Caritas Österreich; die Vertreter aller orthodoxen Kirchen in Österreich; Vertreter der altorientalischen Kirchen; von der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht: Ord.Univ.Prof. Dr. Richard Potz; Frau Dr. Brigitte Schinkele; Dr. René Kuppe und andere.

Im Verlauf des Empfanges hielt Bischof Hilarion eine kurze Ansprache an die Gäste, deren Text nachstehend angeführt ist.

Grußwort des Vertreters der Russischen Orthodoxen Kirche bei der EU, des Bischofs Hilarion von Wien und Österreich, beim Empfang in der Kathedrale zum hl. Nikolaus in Wien am 30. Oktober 2003

Eminenzen, Exzellenzen, verehrte Gäste!

Ich begrüße Sie herzlich in den Räumlichkeiten der Kathedrale zum hl. Nikolaus, der Kathedralkirche der Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche von Wien und Österreich.

Wien ist die Hauptstadt eines Landes, in dem die überwältigende Mehrheit der Gläubigen der Katholischen Kirche angehört. Dennoch war Österreich immer für seine ökumenischen Traditionen berühmt; hier wirken auch die anderen christlichen Gemeinden ungehindert und in enger Zusammenarbeit. Die Teilnahme von hohen Vertretern der Katholiken, Orthodoxen und Protestanten am heutigen Empfang ist der sichtbare Ausdruck dieser Einheit und der brüderlichen Zusammenarbeit.

Die russische Orthodoxie ist auf österreichischem Boden schon mehr als 250 Jahre heimisch. Die ersten Priester aus Russland kamen in der Mitte des XVIII. Jahrhunderts nach Wien; anfangs verrichteten sie ihren Dienst in Räumlichkeiten, die der Russischen Botschaft gehörten. Gegen Ende des XIX. Jahrhunderts wurde auf dem Territorium der Botschaft diese mächtige Kirche gebaut, die bis heute eine Zierde der österreichischen Hauptstadt ist. Zurzeit werden an der Kirche weitläufige Restaurationsarbeiten begonnen, deren Ziel eine völlige Erneuerung der Kirche sowohl außen als auch innen ist.

Die Russische Orthodoxe Kirche ist nicht nur die Kirche Russlands: zu ihr gehört die Mehrzahl der Gläubigen in der Ukraine, der Belarus, Moldovas, der Baltischen Länder und der Staaten Mittelasiens. Deshalb haben wir unter unseren Gläubigen Vertreter der verschiedensten Nationalitäten. Den Gottesdienst am Sonntag besuchen 200 bis 300 Personen, an großen Feiertagen kommen fast 1000 Gläubige, und die Kirche kann alle, die sie besuchen wollen, nicht fassen. Die Gottesdienste werden in kirchenslavischer und teilweise in deutscher Sprache gehalten. Es gibt eine Sonntagsschule für Kinder und katechetische Gespräche für Erwachsene.

Ich möchte Ihnen allen, liebe Gäste, bestätigen, dass unsere Kirche und unsere Diözese zur aktiven Zusammenarbeit mit den christlichen Gemeinden Österreichs bereit ist. Nur mit gemeinsamen Anstrengungen können wir den Anforderungen der heutigen säkularen Gesellschaft widerstehen, in der eine sehr schnelle Abkehr von den sittlichen und geistigen Idealen des Christentums vor sich geht.

Gestatten Sie mir, Sie alle, liebe Gäste, noch einmal in diesem Gotteshaus zu begrüßen und Ihnen gute Gesundheit, ein langes Leben und die unerschöpfliche Hilfe Gottes in Ihrer Arbeit zu wünschen.


Vorlesung des Metropoliten Kyrill von Smolensk und Kaliningrad bei der Tagung über die Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche (Wien, Österreich, 10.9.03)

Die Jubiläums-Bischofssynode der Russischen Orthodoxen Kirche, die im Jahre 2000 stattgefunden hat, verabschiedete eine große Zahl von wichtigen Beschlüssen und Dokumenten, wie es nie zuvor in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Unter ihnen nehmen die durch die Synode einstimmig beschlossenen "Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche" eine besondere Stellung ein. Dieses Dokument kodifiziert die orthodoxe Sicht auf eine Fülle von Aspekten der gegenseitigen Beziehungen von Kirche, Staat und Gesellschaft, aber auch auf brennende Probleme der Gegenwart.

Seit Beginn der 80er Jahre wuchs in unserer Kirche das Bedürfnis, den Sinn des zurückgelegten historischen Weges zu ergründen und eine Strategie für die kirchliche Tätigkeit für die nächste Zukunft zu entwerfen. Außerdem hatten sich viele Fragen angehäuft, auf die keine klare kirchliche Antwort gegeben worden war, und auch hätten nicht alle in der Vergangenheit geeigneten Antworten auf heute angewendet werden können. Es war eine echte pastorale Notwendigkeit entstanden, für den Menschen der Gegenwart eine rechte Orientierung im gesellschaftlichen und persönlichen Leben aufzuzeigen. Eine derartige Arbeit konnte nur auf Grundlage einer seriösen Beurteilung der historischen Erfahrung, der daraus gewonnenen Einsichten und einer Standortbestimmung der Kirche hinsichtlich ihrer Beziehung zu den neuen Realitäten durchgeführt werden.

Im 20. Jahrhundert durchlebte die Russische Orthodoxe Kirche eine bisher beispiellose Etappe ihrer Geschichte. Nach einer fast 1000jährigen Unterstützung von Seiten des Staates und der Gesellschaft wurde unsere Kirche im Jahre 1917 mit offener Feindschaft und einer aggressiven, auf die Ausmerzung der Religion zielenden staatlichen Politik konfrontiert. Diese Ereignisse stellten die akute Frage nach der Beziehung der Russischen Kirche zu den verschiedenen politischen Systemen und Ideologien. Hatte es doch die Russische Kirche bis zur Februarrevolution einzig und allein mit der Staatsform einer Monarchie zu tun gehabt, welche die Orthodoxie zum Fundament der Sozialordnung gemacht hatte.

Die besten Geister des damaligen Russland, unter ihnen auch viele Bischöfe, Seelsorger und Theologen, verstanden, dass die Kirche eine gewisse Last der sittlichen Verantwortung für die ausgebrochene Katastrophe trug. Die revolutionären Ereignisse beschleunigten die Erarbeitung eines umfassenden Planes für die Gesundung des kirchlichen Lebens, der auf dem Allrussischen Landeskonzil 1917-1918 erörtert wurde. Aber den Konzilsbeschlüssen war es auf Grund der einsetzenden bolschewistischen Verfolgungen nicht beschieden, zur Gänze umgesetzt und entwickelt zu werden. Unter diesen nicht einfachen Bedingungen versuchte das kirchliche Bewusstsein intensiv, seine Beziehung zur neuen Macht und ihrer Tätigkeit zu klären. Die ersten Schritte in dieser Richtung unternahm noch der heilige Patriarch Tichon (Belavin), der sich in seinen letzten Lebensjahren bemühte, der Kirche im sowjetischen Staat eine legale Stellung zu gewährleisten. Dieses Unterfangen setzte Metropolit, später Patriarch Sergij (Stragorodskij) fort.

Einige Menschen verstehen bis heute das Verhalten der Kirche in der sowjetischen Zeit nicht richtig, indem sie es als Versöhnung mit dem offiziellen Atheismus, ja sogar als Komplizenschaft mit ihm betrachten. Ja, die sowjetische Regierung verlangte wie jedes andere Regime Loyalität gegenüber ihrem politischen System, d.h. den Verzicht auf jedwede Tätigkeit, die ihren Sturz zum Ziel hatte. Und in diesem Sinn eben anerkannte die Kirche die Sowjetmacht, und in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges rief sie ihre Töchter und Söhne zur Verteidigung des Vaterlandes und zum Kampf gegen den Nazismus auf. Dabei war beiden Seiten die Unvereinbarkeit der totalitär-kommunistischen Ideologie und des orthodoxen Glaubens offensichtlich. Eben aus diesem Grunde war es der Kirche verboten, die Mauern des Gotteshauses zu verlassen und auf dem Gebiet der Bildung, Wohltätigkeit, eines weiten Verlagswesens und in der Öffentlichkeit überhaupt aktiv zu sein. Einem aufmerksamen Erforscher der Sowjetzeit in der Geschichte der Russischen Kirche werden Fakten nicht verborgen bleiben, die davon Zeugnis ablegen, dass unsere Bischöfe und Seelsorger sich mit allen Kräften bemühten, das Zeugnis der Kirche in der sowjetischen Gesellschaft zu erhalten und auszuweiten. So haben sie Kirchen und Klöster bei Schließungsversuchen verteidigt, wie das der Metropolit von Tallin und Estland, der heutige Patriarch von Moskau und der ganzen Rus' Seine Heiligkeit Aleksij (Rüdiger) gemacht hat. Oder sie haben die internationalen Kontakte der Kirche ausgedehnt und ihr somit die Unterstützung der Weltöffentlichkeit gewährleistet, wie das der Metropolit von Leningrad und Novgorod Nikodim (Rotov) gemacht hat. Mehr noch, die Kirche hat ihre Unversöhnlichkeit mit der Ideologie des Atheismus durch eine Schar von Märtyrern und Bekennern bezeugt, die trotz Nötigung und physischer Gewalt sich von Christus nicht lossagten und Kirchen und Heiligtümer nicht der Entehrung anheim geben wollten. Ich meine, nicht zufällig wurden die "Grundlagen der Sozialkonzeption der Russchen Orthodoxen Kirche" eben auf jener Jubiläumssynode beschlossen, die auch mehr als 1000 russische Neumärtyrer und Bekenner kanonisierte. Ihr Zeugnis hat in diesem Dokument seinen Niederschlag gefunden.

Am Ende der 80er Jahre trat unsere Kirche in eine neue Etappe ihrer Geschichte. Es taten sich vor ihr wiederum große Möglichkeiten zur Mission und zum Dienst unter den Menschen der Länder der GUS und des Baltikums auf. Aber die Kirche kehrte jetzt nicht in dieselbe Gesellschaft zurück, aus der sie nach der Revolution herausgerissen worden war. Die Psychologie der Menschen hatte sich verändert, verändert waren die gesellschaftlichen Werte und die äußere Umwelt, in der die stürmische Entwicklung der neuen Technologien ihren Niederschlag gefunden hatte. All das erforderte auch ein neues Wort. Denn in der vorrevolutionären Literatur und umso mehr in den Werken der Heiligen Väter war nichts zu finden z. Bsp. über die ökonomische Globalisierung, über "humanitäre Intervention", über Klonen oder Geschlechtsumwandlung. Die Kirche stand real vor der Aufgabe, dem orthodoxen Christen eine Antwort zu geben, wie man in der heutigen widersprüchlichen und dynamisch sich verändernden Welt ein solcher bleiben kann.

Mit der Zunahme der Fragen, welche die verschiedenen Seiten des Lebens des heutigen Menschen betreffen, wuchs jedoch auch die Zahl der Antworten. Viele Priester und Laien ließen mitunter einander widersprechende Äußerungen und Handlungen zu.

Gleichzeitig existierte eine große Zahl von Erklärungen der Bischofssynoden, des Hochheiligen Patriarchen und des Heiligen Synods, die verschiedene gesellschaftlich bedeutsame Themen betrafen, wie die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, Konfliktsituationen in Russland und in der Welt, ökonomische und soziale Probleme, die Haltung zum Krieg und zum Wehrdienst, verschiedene Aspekte der Bioethik, die Entwicklung eines nationalen Rechts, globale Administration usw. Besonders viele solcher Erklärungen erfolgten am Ende der 80er Jahre und in den 90er Jahren. Die Position des Moskauer Patriarchats angesichts der gesellschaftlichen Fragen war jedoch in Dutzenden von Dokumenten verstreut, von denen viele keine breite Bekanntheit erlangt hatten.

Mit einem Wort, unsere Kirche war mit der Notwendigkeit der Kodifizierung oder Erarbeitung ihrer Position hinsichtlich vieler aktueller Fragen konfrontiert. Dazu musste die richtige Methode für die Formulierung der kirchlichen Lehre ausgewählt werden, die sich auf die Heilige Schrift und die Heilige Tradition der Orthodoxen Kirche unter Berücksichtigung der russischen theologischen Tradition stützte.

Von allem Anfang an war es klar, dass ein derart wichtiges Dokument nur durch das konziliare Denken der Kirche beschlossen werden konnte. Daher begann die Ausarbeitung des Textes der "Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche" mit dem Beschluss der Bischofssynode des Jahres 1994 über die Schaffung einer entsprechenden Arbeitsgruppe, die in der Folge aus Bischöfen, Klerikern, Dozenten der kirchlichen Bildungsanstalten und Mitarbeitern der Synodalen Abteilungen bestand. Nach der Fertigstellung des Entwurfes und seiner Erörterung mit Vertretern verschiedener kirchlicher, staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen wurde der Text der Grundlagen der Sozialkonzeption auf der Jubiläums-Bischofsynode approbiert.

Die "Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche" sind ein umfangreiches und umfassendes Dokument, das Duzende von Themen behandelt. Dazu genügt es bereits, seine Abschnitte aufzuzählen: "Theologische Grundpositionen", "Kirche und Nation", "Kirche und Staat", "Christliche Ethik und weltliches Recht", "Kirche und Politik", "Die Arbeit und ihre Früchte", "Eigentum", "Krieg und Frieden", "Verbrechen, Sühne, Wiedergutmachung", "Fragen der persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Sittlichkeit", "Die Gesundheit der Person und des Volkes", "Fragen der Bioethik", "Die Kirche und Fragen der Ökologie", "Weltliche Wissenschaft, Kultur und Bildung", "Die Kirche und die weltlichen Massenmedien" und "Internationale Beziehungen. Probleme der Globalisierung und des Säkularismus".

In vielen Fällen formuliert das Dokument konkrete Regeln für den Episkopat, den Klerus und die Laien - z. Bsp. bezüglich der pastoralen Praxis bei Scheidungen und Abtreibungen, der Mechanismen der gegenseitigen Beziehungen mit verschiedenen Ebenen und Branchen der Staatsmacht und konkreter Verfahrensweisen der Konfliktlösung mit der Staatsmacht und mit Masseninformationsmitteln, darunter auch durch die Vertretung der Interessen der Kirche vor Gericht.

Im Rahmen der heutigen Vorlesung ist es unmöglich, alle Aussagen des Dokuments auch nur kurz darzulegen. Wir werden jedoch versuchen, unser Augenmerk auf einige ausgewählte Stellen zu richten, die für die westlichen Christen nicht uninteressant erscheinen.

Nicht wenige Diskussionen lösen die Probleme der Beziehungen zwischen Kirche, Person und Staat aus. Im Abschnitt "Kirche und Staat" heißt es: "Als unerlässlicher Bestandteil des Lebens in der gefallenen Welt, in der Person und Gesellschaft des Schutzes gegen die gefährlichen Erscheinungsformen der Sünde bedürfen, ist der Staat von Gott gesegnet.... Die Heilige Schrift ruft die Machthabenden auf, die staatliche Gewalt zur Abwehr des Bösen und zur Unterstützung des Guten zu gebrauchen, worin der moralische Sinn der Existenz des Staates gesehen wird (Röm 13,3-4)."

Die Kirche schreibt ihren Kindern vor, sich der staatlichen Gewalt unabhängig von den Überzeugungen und der Konfession ihrer Träger nicht bloß unterzuordnen, sondern auch für sie zu beten, "damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können" (1 Tim 2,2). Dabei ist es aber auch sehr wichtig, die Grenzen der Kompetenz der staatlichen Gewalt festzulegen, daher ist im Dokument geschrieben: "Gleichzeitig dürfen die Christen die Staatsgewalt jedoch nicht verabsolutieren und die Grenzen ihres rein irdischen, zeitlichen und vergänglichen Sinns ignorieren, der durch das Vorhandensein der Sünde in der Welt und die Notwendigkeit, ihr Einhalt zu gebieten, bedingt ist." Der Staat darf sich selbst keinesfalls in eine sich selbst genügende Institution verwandeln. Wir wissen, dass es in der Geschichte nicht nur einmal eine solche Tendenz gegeben hat, wir wissen auch, zu welch gefährlichen Folgen sie führen kann.

Wir anerkennen das Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung der Kirche und des Staates in die Angelegenheiten des jeweils anderen, aber wir können mit einem Verständnis des weltlichen Charakters der Staates nicht einverstanden sein, bei dem die "radikale Verdrängung der Religion aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens", der "Ausschluss der religiösen Vereinigungen bei der Bewältigung öffentlich relevanter Aufgaben" und der "Entzug ihres Rechtes auf Bewertung der Tätigkeit der Staatsgewalt" als Norm gelten.

Die Lage der Kirche im säkularen Staat wird im Dokument in folgender Weise dargelegt: "Die Kirche darf nicht Funktionen an sich ziehen, die zum Zuständigkeitsbereich des Staates gehören, wie etwa: gewaltsamen Widerstand gegen die Sünde, Inanspruchnahme staatlicher Vollmachten, Übernahme von Funktionen der Staatsgewalt, die Zwang oder Einschränkung beinhalten. Allerdings darf die Kirche die Staatsmacht bitten oder gar auffordern, in bestimmten Fällen ihre Macht einzusetzen; das Recht zur Entscheidung in dieser Frage bleibt jedoch dem Staat vorbehalten." Seinerseits jedoch "darf sich der Staat nicht in das Leben der Kirche, in ihre Verwaltung, ihren Gottesdienst, ihre geistliche Praxis usf. einmischen, wie auch grundsätzlich in die Tätigkeit der kanonischen kirchlichen Einrichtungen" - mit Ausnahme natürlich jener Seiten ihrer Tätigkeit, die den Status einer juristischen Person voraussetzen, die bürgerliche Rechtsbeziehungen aufnimmt. Die Grenzen der Loyalität der Kirche gegenüber der Staatsgewalt sind durch das göttliche Gebot festgelegt, die Wahrheit Christi zu verkünden und das Werk des Heiles der Menschen unter beliebigen Bedingungen, in beliebigen Umständen zu erfüllen. Wie lesen im Dokument: " Wenn die staatliche Macht die orthodoxen Gläubigen zur Abkehr von Christus und Seiner Kirche sowie zu sündhaften, der Seele abträglichen Taten nötigt, so ist die Kirche gehalten, dem Staat den Gehorsam zu verweigern.... Sollte die Unterordnung unter staatliche Gesetze und Verfügungen der Staatsmacht von Seiten der Fülle der Kirche unmöglich sein, ist die Kirchenleitung nach der erforderlichen Prüfung der Frage berechtigt, folgende Maßnahmen zu ergreifen: Aufnahme eines direkten Dialogs mit der Staatsgewalt über das aufgekommene Problem, Aufruf an das Volk, die Mechanismen der Volksherrschaft zur Änderung der Gesetzgebung sowie zur Revision der Entscheidungen der Staatsgewalt anzuwenden, Appell an die internationalen Institutionen sowie die internationale öffentliche Meinung, Appell an ihre Kinder, gewaltlosen zivilen Widerstand zu leisten."

Die Kirche muss den Staat auf die Unzulässigkeit der Verbreitung von Überzeugungen und Handlungen hinweisen, die zur Errichtung einer allseitigen Kontrolle des Lebens der Person, ihrer Überzeugungen und Beziehungen zu anderen Menschen, zur Zerstörung der persönlichen, familiären oder gesellschaftlichen Sittlichkeit, zur Beleidigung religiöser Gefühle und zur Schädigung der Eigenständigkeit des Volkes oder zur Bedrohung des heiligen Geschenkes des Lebens führen. Im Zusammenhang mit den Beziehungen zwischen der Kirche und den politischen Kräften erhebt sich die wichtige Frage der Prinzipien der Gestaltung der Politik in den verschiedenen Sphären der menschlichen Tätigkeit. Diese Frage hat im Abschnitt "Kirche und Politik" ihren Niederschlag gefunden, wo darauf hingewiesen wird, dass der Aufruf zu Frieden und Zusammenarbeit von Menschen mit verschiedenen politischen Anschauungen eine Aufgabe der Kirche "im Angesicht der politischen Meinungsverschiedenheiten, Widersprüche und Kämpfe" bleibt. Die Kirche "duldet auch verschiedene politische Überzeugungen in der Mitte des Episkopats, des Klerus sowie der Laien, mit Ausnahme solcher, die offensichtlich zu Taten führen, die der orthodoxen Glaubenslehre und den moralischen Normen der kirchlichen Überlieferung widersprechen." Dabei ist "die Teilnahme der Kirchenleitung und der Geistlichen, folglich auch der Fülle der Kirche, an der Tätigkeit politischer Organisationen, an Wahlaktionen wie etwa öffentlicher Unterstützung an Wahlen beteiligter politischer Gruppierungen oder einzelner Kandidaten an Wahlkampfwerbung usw. untersagt".

Das bedeutet jedoch nicht den Verzicht der Kirche auf "öffentliche Stellungnahmen zu gesellschaftlich bedeutsamen Fragen und auf Vertretung ihrer Position vor den Staatsorganen des jeweiligen Landes auf der jeweiligen Ebene. Diese Stellungnahmen werden ausschließlich durch die kirchlichen Konzilien, die Kirchenleitung sowie die von ihnen bevollmächtigten Personen vorgebracht. Das Recht auf Äußerung solcher Positionen kann nicht an staatliche Organe, an politische oder auch andere weltliche Organisationen delegiert werden."

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt die Kirche die gegenwärtige Gründung orthodoxer Parteien und gesellschaftlich-politischer Bewegungen. Es ist eine unzutreffende Auffassung, dass die kirchliche Hierarchie derartige Initiativen unterdrücken müsse. Denn die Kinder der Kirche sind von Geburt an mit der Freiheit der Wahl und der Äußerung ihrer Überzeugungen und ihrer Realisierung im Rahmen gesellschaftlicher Tätigkeit ausgestattet.

Die Teilnahme orthodoxer Laien an der Arbeit der Organe der Legislative, Exekutive und Judikatur und politischer Organisationen ist nicht nur nicht untersagt, sondern ist sogar eine Form der Mission der Kirche in der Gesellschaft, "wenn sie im .Einklang mit der Glaubenslehre der Kirche, ihren moralischen Normen und ihrer offiziellen Position in gesellschaftlichen Fragen geschieht". Die Laien sind in Erfüllung ihrer Bürgerpflicht berechtigt und berufen, an politischen Prozessen teilzunehmen und an beliebigen moralisch einwandfreien Aktionen des Staates mitzuwirken. Gleichzeitig können die Gläubigen, die individuell oder im Rahmen verschiedener Organisationen an staatlicher oder politischer Tätigkeit teilnehmen, das nur unter der Bedingung tun, dass sie ihre politische Arbeit nicht mit der Position der Fülle der Kirche oder irgendwelcher kirchlicher Einrichtungen identifizieren, als würden sie in ihrem Namen auftreten. In den Grundlagen der Sozialkonzeption wird die Einschränkung gemacht, dass "die höchste kirchliche Gewalt der politischen Betätigung der Laien keinen speziellen Segen erteilt". Dennoch werden die orthodoxen politischen Laienorganisationen, die sich bemühen, ihre politische und staatliche Tätigkeit auf Grundlage der Prinzipien der christlichen Spiritualität und Moral zu verwirklichen, "aufgerufen, die Kirchenleitung zu Rate zu ziehen und ihre Aktivitäten im Bereich der Realisierung kirchlicher Positionen bezüglich gesellschaftlicher Fragen mit ihr abzustimmen". Wenn jedoch Organisationen, an deren Tätigkeit orthodoxe Laien teilnehmen, oder einzelne orthodoxe Politiker und im staatlichen Bereich Tätige mit der allgemein kirchlichen Position in gesellschaftlichen Fragen wesentlich differieren oder sich der Realisierung einer solchen Position sogar widersetzen, veröffentlicht die Kirchenleitung eine entsprechende Erklärung zur Vermeidung von Missverständnissen zwischen den Gläubigen und breiten Gesellschaftsschichten.

Im Abschnitt "Eigentum" sagte sich die Russische Orthodoxe Kirche entschieden von ihr aufgezwungenen Diskussionen über "mehr oder weniger christliche" Eigentumsformen los, unter denen verschiedene weltliche Kräfte bald die private, bald die kollektive und bald die gesellschaftliche Eigentumsform verstehen. Gemäß den Grundlagen der Sozialkonzeption "erkennt die Kirche die Existenz zahlreicher Eigentumsformen an. Die staatliche, öffentliche, körperschaftliche, private und gemischte Eigentumsform sind in den einzelnen Ländern auf unterschiedliche Art und Weise im Verlauf der historischen Entwicklung verankert worden. Aus Sicht der Kirche ist keine dieser Formen zu bevorzugen. Jede von ihnen kann ebenso sündhaften Erscheinungen wie Diebstahl, Habgier und ungerechter Verteilung der Früchte der Arbeit zugrunde liegen wie auch als Voraussetzung einer würdigen, moralisch begründeten Nutzung der materiellen Güter dienen."

In der Auseinandersetzung mit dem heutigen Feminismus legt das Dokument die orthodoxe Position zum Problem der sozialen Rolle der Geschlechter und ihrer Gleichberechtigung dar (Abschnitt "Fragen der persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Sittlichkeit" ). So heißt es in den Grundlagen der Sozialkonzeption: "Während die Kirche die gesellschaftliche Rolle der Frau würdigt und ihre politische, kulturelle und soziale Gleichstellung mit den Männern begrüßt, wendet sie sich zugleich auch gegen Tendenzen der Abwertung der Rolle der Frau als Gattin und Mutter. Die fundamentale Gleichheit der Würde der Geschlechter hebt die natürlichen Unterschiede zwischen ihnen nicht auf und beinhaltet nicht die Gleichheit der Berufung in Familie und Gesellschaft...

Die Vertreter gewisser gesellschaftlicher Strömungen neigen dazu, der Ehe sowie dem Institut der Familie die gebührende Wertschätzung abzusprechen oder diese gar vollständig zu leugnen, indem sie der gesellschaftlich bedeutsamen Arbeit der Frau, einschließlich solcher Arbeiten, die mit der weiblichen Natur kaum oder gar nicht vereinbar sind (z.Bsp. einige schwere körperlichen Arbeiten) den Vorrang einräumen. Nicht selten wird einer künstlichen Angleichung der Beteiligung von Frauen und Männern an jeden Bereich menschlicher Tätigkeit das Wort geredet. Die Kirche sieht die Bestimmung der Frau weder in der unreflektierten Nachahmung des Mannes noch im Wetteifer mit ihm, sondern in der Entfaltung aller ihr von Gott gegebenen Fähigkeiten... Das Streben danach, die natürlichen Unterschiede im gesellschaftlichen Bereich nicht gelten zu lassen bzw. auf ein Minimum zu reduzieren, ist dem kirchlichen Verständnis fremd."

Speziell muss man den Fragenbereich behandeln, den man mit dem Begriff "Bioethik" zusammenfasst. Diese Probleme sind die schwierigsten für die theologische Interpretation. Denn neue biomedizinische Technologien rufen bisweilen ethische und rechtliche Kollisionen hervor, an die man zu Zeiten der Ökumenischen Konzilien nicht einmal denken konnte.

Als Antwort auf die Herausforderung unserer Zeit formulierte die Russische Orthodoxe Kirche in den Grundlagen der Sozialkonzeption (im Abschnitt "Fragen der Bioethik" ) eine umfassende, durchdachte und theologisch fundierte Position zu einer ganzen Reihe von Fragen, die heute eine immer steigende Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregen; dabei stützte sich die Russische Orthodoxe Kirche kreativ auf die für uns heiligen Normen der Tradition und wandte sie auf die heutige Realität an.

Im Hinblick auf Probleme wie Abtreibung und Homosexualität war es bloß erforderlich, die unveränderliche Lehre der Kirche zu bezeugen, die in der Tradition ihren Ausdruck gefunden hat. Im Abschnitt "Fragen der Bioethik" wird die Abtreibung verurteilt, es wird über die Sündhaftigkeit homosexueller Geschlechtsbeziehungen gesprochen, und es ist die Überzeugung ausgedrückt, dass "Personen, die eine homosexuelle Lebensführung propagieren, keinerlei Berechtigung erhalten, sich auf den Gebieten der Bildung, der Erziehung und sonstiger Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beruflich zu betätigen." Demgegenüber mussten viele andere, völlig neue Herausforderungen, die sich durch die stürmische Entwicklung der biomedizinischen Technologien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestellt hatten, im Lichte jener Vorstellungen vom menschlichen Leben und der Würde der menschlichen Person, die in der Göttlichen Offenbarung verwurzelt sind, neu beacht werden.

Im Besonderen wurden die moralischen Aspekte der Anwendung neuer Reproduktionstechnologien einschließlich der künstlichen und extrakorporalen Befruchtung, die Spendung von Geschlechtszellen und die Leihmutterschaft beurteilt. Ein großer Teil davon (mit Ausnahme der künstlichen Befruchtung unter Verwendung von Samenzellen des Mannes) kann von der Kirche nicht gutgeheißen werden, die ja berufen ist, die Würde der Person und die Integrität der ehelichen Beziehungen zu verteidigen.

Es wurden sowohl die positiven wie auch die negativen, für das Individuum und die Gesellschaft gefährlichen Seiten der Entwicklung der gen-medizinischen Methoden der Diagnostik und Behandlung, der genetischen Identifikation und der pränatalen Diagnostik geprüft. Die grundlegenden Aussagen sind folgende: "Die Kirche begrüßt die Bemühungen der Ärzte um eine Überwindung der Erbkrankheiten. Zugleich darf das Ziel eines genetischen Eingriffs jedoch nicht in der künstlichen ,Vervollkommnung' des Menschengeschlechts oder in einer Änderung des Ratschlusses Gottes über den Menschen liegen... Deshalb dürfen die genetische Identifikation sowie die genetische Testierung nur in Übereinstimmung mit der Achtung der Freiheit der Person durchgeführt werden... Die pränatale Diagnostik gilt als moralisch gerechtfertigt, wenn sie auf die Heilung der entdeckten Krankheiten in möglichst frühen Stadien oder auf die Vorbereitung der Eltern auf eine situationsgerechte Pflege des kranken Kindes ausgerichtet ist. Das Recht auf Leben, Liebe und Fürsorge kommt jedem Menschen zu, unabhängig von der Art der Erkrankung".

Auch auf das gefahrvolle Unterfangen des Klonens von menschlichen Wesen wird eine kirchliche Antwort gegeben. Diese Idee ist "zweifellos eine Anmaßung gegenüber der Natur des Menschen und seiner ihm eingeschriebenen Gottebenbildlichkeit, deren unveräußerliche Bestandteile Freiheit und Einzigartigkeit der Person sind". In Zusammenhang mit der stets steigenden Anwendung der Transplantation von Geweben und Organen des Menschen werden vom Standpunkt der Kirche aus wichtige Bedingungen für die moralische Zulässigkeit solcher Eingriffe genannt: das freiwillige, zu Lebzeiten ausgedrückte Einverständnis des Spenders und die Unzulässigkeit der Verkürzung des Lebens eines Menschen um der Verlängerung des Lebens eines anderen willen. Unbedingt abzulehnen ist die sogenannte Fötaltherapie, d.h. die Verwendung von Geweben und Organen von abgetriebenen menschlichen Föten. Auch die Fragen der heutigen Reanimatologie und Sterbehilfe wurden geprüft. Dabei wurde die eindeutige Position der Kirche hinsichtlich der Unzulässigkeit der sogenannten Euthanasie formuliert, d.h. der Tötung hoffnungslos Kranker selbst auf ihren Wunsch hin.

Im Zusammenhang mit der Zunahme von Eingriffen zur Geschlechtsumwandlung wird gesagt, dass die Kirche eine tatsächlich künstlich geänderte Geschlechtszugehörigkeit nicht anerkennen kann. Im Dokument heißt es: "Wenn die ,Geschlechtsumwandlung' einer Person vor ihrer Taufe vollzogen worden ist, so darf sie - jedem anderen Sünder gleich - zur Taufe zugelassen werden, jedoch wird sie von der Kirche als ihrem ursprünglich angeborenen Geschlecht zugehörig getauft. Die Priesterweihe sowie die kirchliche Trauung bleiben diesem Menschen verwehrt."

Ich möchte unsere Aufmerksamkeit noch auf die Probleme der Globalisierung lenken, die einen immer wichtigeren Einfluss auf unser Leben ausübt. Der Abschnitt "Internationale Beziehungen. Probleme der Globalisierung und des Säkularismus" behandelt einen ganzen Komplex von sehr wichtigen weltweiten Problemen. Vor allem wird darauf hingewiesen, dass sich die christliche Ethik nicht nur auf die Sphäre des persönlichen Lebens des Menschen erstreckt: "Das christliche Ideal des Verhaltens der Völker und Regierungen im Bereich der internationalen Beziehungen ist in der ,Goldenen Regel' enthalten: ,Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!' (Mt 7,12)."

Umfassend wird der Prozess der ökonomischen, politischen, Kultur- und Informationsglobalisierung geprüft. Als Basis für eine allgemein kirchliche Position in dieser Frage wird die Zusammenarbeit der Kirche mit den internationalen Organisationen (UN, EU, Europarat u.a.) ausgebaut. Einerseits muss man anerkennen, dass es sich dabei um einen unvermeidbaren Prozess handelt, der mit der Entwicklung des Marktes, der Informationstechnologien und Kommunikationsmittel verbunden ist. Andererseits ist die Kirche berufen, in dieser neuen Situation die Prinzipien einer ehrlichen, gerechten, einander achtenden und gleichberechtigten Zusammenarbeit zu verteidigen. Es ist unzulässig, dass durch die Globalisierung eine beschränkte Zahl von Menschen Weltmacht und Reichtum in ihren Händen konzentrieren. Es ist auch unzulässig, dass Völker, zu denen fast drei Viertel der Weltbevölkerung gehören, an den Rand der Weltzivilisation gedrängt werden.

Man muss besonders den Protest der Kirche gegen die "geistige und kulturelle Expansion und die verhängnisvolle totale Vereinheitlichung" hervorheben. Wir fordern eine Weltordnung, "die auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Gleichheit der Menschen vor Gott aufgebaut ist sowie die Unterwerfung ihres Willens unter nationale oder globale Zentren unterbindet, die politischen, wirtschaftlichen und informationellen Einfluss haben".

Es scheint vielleicht jemandem, dass Säkularisierung, Globalisierung, internationale Politik und Politik nicht "unsere Sache" seien und dass die Kirche sich in solche Prozesse nicht einmischen solle, um ihre "Jenseitigkeit" zu bewahren. Aber gerade die Kirche ist für das Schicksal der ganzen Menschheit verantwortlich, gerade ihre Stimme muss als prophetische Stimme der Wahrheit Gottes ertönen, sonst erweist sie sich ihrer Berufung als untreu.

Daher hat die im letzten Absatz dieses Abschnitts ausgesprochene Beurteilung eine prinzipielle Bedeutung: "Das gegenwärtige internationale Rechtssystem beruht auf dem Vorrang der Interessen des irdischen Lebens des Menschen und der menschlichen Gemeinschaften vor den religiösen Werten (insbesondere in solchen Fällen, in denen erstere mit letzteren in Konflikt geraten). Diese Vorrangstellung ist in der nationalen Gesetzgebung vieler Staaten verankert... Eine Anzahl einflussreicher öffentlicher Mechanismen bedient sich allerdings dieses Prinzips in offener Konfrontation mit dem Glauben und der Kirche mit dem Ziel, sie aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Diese Erscheinungen schaffen das allgemeine Bild der Säkularisierung des Staats- und Gesellschaftslebens. Auch wenn die Kirche der weltanschaulichen Entscheidung nichtreligiöser Menschen sowie ihrem Recht auf Mitgestaltung der gesellschaftlichen Prozesse Achtung zollt, ist sie zugleich nicht in der Lage, eine Weltordnung gutzuheißen, die ihren Ausgang bei der durch die Sünde verdorbenen menschlichen Person nimmt. Namentlich aus diesem Grund richtet die Kirche - unter Beibehaltung der Offenheit zur Zusammenarbeit mit Menschen nichtreligiöser Überzeugung - ihre Bemühungen darauf, die christlichen Werte im Prozess der Entscheidungsfindung hinsichtlich der wichtigsten öffentlichen Angelegenheiten sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene geltend zu machen. Sie erstrebt die Anerkennung der Legitimität der religiösen Weltanschauung als Basis gesellschaftlich relevanter Handlungen (einschließlich solcher, die durch den Staat vorgenommen werden) sowie die Anerkennung als eines wesentlichen Faktors, der auf die Entwicklung (Veränderung) des Völkerrechts und der Tätigkeit internationaler Organisationen Einfluss nimmt."

Dank der im Dokument angesprochenen aktuellen Probleme wurde ihm nicht nur in Russland Interesse entgegengebracht, sondern auch im Ausland, und zwar nicht nur in religiösen Kreisen, sondern auch in der weltlichen Gesellschaft. Wir erörterten das vorliegende Dokument in verschiedenen Diözesen unserer Kirche, im Parlament, bei öffentlichen Lesungen in verschiedenen Städten Russlands und anderer Länder der GUS. Wir hatten zahlreiche Möglichkeiten, einzelne Aussagen des Dokuments in den Massenmedien, bei Tagungen und persönlichen Begegnungen mit religiösen, politischen und gesellschaftlichen Persönlichkeiten bekannt zu machen und zu erklären.

Mit großer Genugtuung erfuhren wir in der Russischen Orthodoxen Kirche, dass das Dokument auch unter Christen anderer Konfessionen reges Interesse hervorrief. Das Dokument wurde in theologischen Gesprächen mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands und der Evangelischen Kirche in Deutschland, im Rahmen des Weltrates der Kirchen und der Konferenz Europäischer Kirchen und auf einer Tagung erörtert, die durch die Konrad-Adenauer Stiftung in Deutschland veranstaltet wurde.

Welches Ergebnis haben wir durch den Beschluss dieses Dokuments erreicht? Welchen Beitrag leistet es für das gegenwärtige Leben der Russischen Orthodoxen Kirche? Vor allem kann jetzt die kirchliche Hierarchie auf allen Ebenen auf dem Fundament eines konzeptuellen Zuganges zahlreiche Einzelfragen klären. Das Dokument konstatiert eine Reihe konkreter Normen und Prinzipien und wird zu einer verbindlichen praktischen Handreichung für Bischöfe, Priester und Laien. Das erlaubt den Gliedern der Kirche, eine tatsächlich einheitliche und durchdachte Position im Dialog mit der Staatsmacht und der Gesellschaft einzunehmen. Und den "Außenstehenden", d.h. der säkularen Gesellschaft, gibt das Dokument der Synode eine klare Vorstellung davon, was die Meinung der Kirche in den gewichtigen Problemen der Gegenwart ist. Nach Maßgabe der Veränderung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, nach Maßgabe des Erscheinens neuer Probleme und Herausforderungen, die eine Antwort der Kirche erfordern, wird sich die Soziallehre unserer Kirche unzweifelhaft weiter entwickeln und vervollkommnen, weswegen das von der Synode beschlossene Dokument auch die Bezeichnung "Grundlagen" trägt.

In vielem hängt die Zukunft der Kirche davon ab, ob wir die aus dem Glauben entstandene Lebenssicht in gesellschaftlich bedeutsamen Werken und in überzeugenden Antworten auf die Probleme der Gegenwart umsetzen können, davon, ob wir den Menschen beim Finden der richtigen Lebensprioritäten und im Beschreiten eines echt christlichen Weges helfen können. Ich glaube, der Herr wird uns unterweisen und führen und so das Werk des Heiles auch durch unsere bescheidenen Anstrengungen vollenden.

Übersetzung aus dem Russischen: DDr. Johann Krammer

(Deutsche Zitate aus den "Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche" wurden weitgehend - manchmal mit leichten Abänderungen - aus folgendem Werk übernommen: Die Grundlagen der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche. Deutsche Übersetzung mit Einführung und Kommentar. Herausgegeben von Josef Thesing und Rudolf Uertz. Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Sankt Augustin 2001)

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Osterbotschaft
des
Patriarchen von Moskau
und der ganzen Rus' Aleksij II.
an die
Bischöfe,
den Seelsorgeklerus,
die Angehörigen des monastischen Standes
und alle treuen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche
(2004)

 

An Deinem Kreuze hast Du den Fluch des Baumes vernichtet.
In Deinem Begräbnis hast Du die Macht des Todes getötet.
Durch Deine Erweckung erleuchtetest Du der Menschen Geschlecht.
Darum rufen wir zu Dir: Christus, unser Gnaden spendender Gott, Ehre sei Dir.

Stichira zu Psalm 140,
Vesper am Ostersonntag

Im Herrn geliebte Hochgeweihte Bischöfe, ehrwürdige Priester und Diakone, Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern in Christus - treue Kinder unserer Heiligen Orthodoxen Kirche! Von ganzem Herzen beglückwünsche ich jeden von euch mit den so lange erwarteten und das Leben bekräftigenden Worten: CHRISTUS IST AUFERSTANDEN!

Von neuem jubelt unsere Kirche, nachdem sie die reinigende Fastenzeit vollendet hat, und den von den Toten auferstandenen Lebensspender Christus besingt. Lasst uns in unserem Herzen die reichen Früchte unserer Bemühungen der Heiligen Vierzig Tage bewahren, um nach den Worten des heiligen Apostels Paulus "das Fest nicht mit dem alten Sauerteig zu feiern, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit" (1 Kor 5, 8).

Nach den Worten des heiligen Athanasios des Großen hat der Herr "den Sieg über den Tod errungen . uns aber zusammen mit Ihm auferweckt, indem Er uns von den Fesseln des Todes befreit hat und uns statt des Fluches Seinen Segen gab, statt der Trauer Freude, statt der Klage das österlichen Frohlocken".

Der Erlöser ist auferstanden und nichts kann unseren Glauben an die Güte Gottes, unsere Hoffnung auf die Errettung und unsere Liebe zueinander erschüttern. Das Böse und die Sünde sind besiegt, der Himmel geöffnet, den Menschen wurde die allmächtige Gnade Gottes zuteil, und unsere Seelen versinken nicht mehr im Meer der irdischen Sorgen, der Trauer und des Kummers, Hass und Trennung verschwinden.

Das Licht der Auferstehung Christi erhellt unsere Herzen und verscheucht daraus die Finsternis des Unwissens und der Unvollkommenheit. In diesem Licht erfahren wir das Erbarmen und die Liebe des allgütigen Herrn. Und Gott gebe es, dass wir, da wir das Licht Christi einmal erfahren haben, dieses Lichtes für immer würdig sein und den Widerschein des Glanzes der Herrlichkeit Gottes in unserem Herzen niemals auslöschen mögen. "Ihr leuchtenden Kinder der Kirche!", wendet sich der heilige Filaret von Moskau an uns, "nutzt das Licht, das der auferstandene Herr so reich auf euch ausgießt!"

Meine Lieben! Möge das Licht unseres Glaubens all jenen leuchten, die die Wahrheit und den Sinn des Seins suchen, die nach der göttlichen Liebe und Gnade dürsten. Lasst uns mit der Botschaft des auferstandenen Christus zu den Menschen gehen, mit guten Taten und Barmherzigkeit, und erinnern wir uns an das Gebot unseres Herrn und Erlösers: "So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5, 16). Erfüllen wir unsere christliche Verpflichtung des Dienstes am Nächsten, indem wird versuchen, das Leben unserer Familien, der kleinen Hauskirchen, in denen unsere Kinder aufwachsen, mit dem Licht Christi zu erfüllen. Lehren und erziehen wir sie am Beispiel der Heiligen, die in unserer Heimat so zahlreich erstrahlt sind, denn durch ihre Fürbitten sind Not und Zwist oftmals von unserer Heimat abgewendet worden.

Am heiligen Ostertag schenkt uns der Herr Sein großes Erbamen, indem Er uns das Gnadenvolle Feuer aus Seinem lebensspendenden Grab schickt. Orthodoxe Christen aus der ganzen Welt, die durch die Gnade Gottes die Lichte Auferstehung Christi an diesem heiligen Ort begehen, empfangen voneinander dieses heilige Feuer und tragen es in alle Städte und Dörfer. Lasst uns auch miteinander das Licht und die Wärme des heutigen Festes teilen.

Bringen wir sie dorthin, wo man Gott nicht kennt, wo geistige Finsternis und Kälte herrschen. Erhellen und erleuchten wir jene, die heute an Armut, Krankheit, Krieg und Verbrechen leiden. Richten wir unseren Ostergruß an Menschen anderen Glaubens und anderer Überzeugungen, und denken wir daran, dass wir uns zusammen mit ihnen für ein besseres Leben einsetzen sollen. Lasst uns um die geistliche und materielle Wiedergeburt unserer Gesellschaft mühen, damit das Licht Christi unser ganzes Leben erleuchten möge.

Wieder und wieder beglückwünsche ich die Hochgeweihten Bischöfe, die Gottgeliebten Kleriker, den Mönchs- und Laienstand der Russischen Orthodoxen Kirche in der Heimat und in der Zerstreuung zum lichtvollen Fest der Auferstehung Christi. Ich beglückwünsche unsere Brüder und Schwestern - die orthodoxen Christen der ganzen Welt.

Ich sende meinen Gruß an die Bischöfe, den Klerus und das Volk der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, mit der gemeinsam wir uns die Wiederherstellung der Koinonia und der Einheit bemühen. Ich teile die Osterfreude mit allen, die heute - in Ost und West - am selben Tag die Lichte Auferstehung Christi feiern.

Noch einmal beglückwünsche ich euch von ganzem Herzen, meine Lieben, mit den ewig lebendigen und das Leben bekräftigenden Worten, die vor mehr als 2000 Jahren als Zeichen der Hoffnung erklangen: CHRISTUS IST AUFERSTANDEN! ER IST IN WAHRHEIT AUFERSTANDEN!

Übersetzung aus dem Russischen: Erzdiakon Viktor Schilowsky, DDr. Johann Krammer

  

 

Osterbotschaft des Bischofs von Wien und Österreich Hilarion, an die hochwürdigen Seelsorger und die gottgeliebten Gläubigen der Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche von Wien und Österreich

Im Herrn geliebte Väter, Brüder und Schwestern! Christus ist auferstanden!

Heute feiert die gesamte christliche Welt die Auferstehung Christi. Heute herrscht in jeder Kirche, in jeder Familie Freude über den Herrn Jesus Christus, der um unserer Erlösung willen gelitten hat und auferstanden ist.

An diesem "Fest der Feste" hören wir den an uns gerichteten Jubelruf des heiligen Johannes Chrysostomos: "Tretet also alle ein in die Freude eures Herrn! Ihr Reichen und ihr Armen, jubelt miteinander. Ihr Enthaltsamen und ihr Trägen, ehrt das Fest. Ihr, die ihr gefastet habt und die nicht gefastet haben, freut euch heute. Der Tisch ist reich gedeckt, genießt alle. Niemand gehe hungrig fort. Genießt alle das Gastmahl des Glaubens. Genießt alle den Reichtum der Güte!"

Unter den zum Ostergottesdienst Versammelten sind solche, die die Kirche regelmäßig besuchen, aber auch solche, die nur an den großen Feiertagen kommen, und solche, die nur selten das Gotteshaus besuchen. Es gibt unter uns Menschen, die seit ihrer Kindheit glauben, solche, die im reifen Alter zum Glauben gekommen sind, aber auch solche, die den Weg zu Gott gerade erst betreten haben. Aber Gott macht keinen Unterscheid zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden: Er glaubt an jeden Menschen. Er liebt jeden von uns, Er hört uns jedes Mal, wenn wir uns an Ihn wenden, und ist bereit, uns zu helfen.

Auch die von Gott Selbst gegründete Kirche ist immer bereit, jedem Menschen zu helfen. Wenn Sie es schwer haben, wenn Sie Leid oder Not haben, kommen Sie in die Kirche, beten Sie zu Gott, und Er wird Sie bestimmt erhören und Ihnen helfen. Aber vergessen Sie das Gotteshaus auch in den Augenblicken des Glücks nicht. Die Kirche soll Ihr geistliches Haus werden, wo Ihre Seelen gereinigt werden und das Leben durch die Gnade Gottes verklärt wird, die trotz aller menschlichen Unvollkommenheit wirkt, ungeachtet all unserer Sünden, Unzulänglichkeiten und Schwächen.

Bringen Sie Ihre Kinder in die Kirche, denn nach den Worten des Herrn ist "ihrer das Himmelreich" (Mt 19, 14). Glauben Sie nicht, dass es genügt, ein Kind zu taufen, damit es glücklich und gesund aufwächst; für sein geistliches Wohlergehen ist eine ständige Teilnahme am Leben der Kirche unumgänglich. Bringen Sie die Kinder zur Beichte und zur Kommunion, lesen Sie ihnen das Evangelium vor, lehren Sie sie zu beten, damit sie immer eine lebendige Verbindung zu Gott haben. Wenn Sie Ihre Kinder im christlichen Geist erziehen, können Sie sie vor vielen Versuchungen und Nöten bewahren, an denen die heutige Jugend zugrunde geht.

An diesem Tag der Freude beglückwünsche ich von ganzem Herzen alle Gläubigen der Russischen Orthodoxen Kirche, die auf dem Territorium Österreichs leben, - Russen, Ukrainer, Weißrussen, Moldawier, Österreicher und Vertreter anderer Nationalitäten, aber auch die Mitglieder der georgischen Gemeinde, die unsere Kirchen besuchen.

Ich beglückwünsche die Gemeindemitglieder der Kathedrale zum heiligen Nikolaus - dem geistlichen Zentrum unserer Diözese. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden in unserer Kirche weitläufige Restaurationsarbeiten durchgeführt. Wir haben nicht wenig vor zu tun, sowohl bei der Restaurierung als auch auf dem Gebiet der Entwicklung des Gemeindelebens. Liebe Gemeindemitglieder der Kathedrale! Wenn Sie den Wunsch haben zu helfen, wenden Sie sich an den Priester und sagen Sie es ihm: Jede Initiative, jeder Vorschlag wird mit Dankbarkeit angenommen werden.

Herzlich beglückwünsche ich die russisch-orthodoxen Gläubigen in der Steiermark. Lange Zeit haben Sie keinen ständigen Priester gehabt, aber jetzt wurde für die Gemeinde Mariä Schutz in Graz ein Priester ernannt, der regelmäßig die Gottesdienste feiern und Ihnen bei der Errichtung und Festigung der Gemeinde helfen wird.

Ich wende mich mit meinem Grußwort auch an die Gläubigen unserer Kirche, die in Innsbruck leben, wo in diesem Jahr zum ersten Mal ein Ostergottesdienst gefeiert wird. Ich hoffe, dass mit Gottes Hilfe auch in Tirol regelmäßig Gottesdienste stattfinden werden, aber dazu bedarf es vor allem Ihrer eigenen Initiative und Ihres Wunsches nach einem vollwertigen kirchlichen Leben.

Geliebte Kinder unserer Heiligen Kirche! Die Gegenwart und Zukunft der Russischen Orthodoxie liegt in unseren Händen. Seien Sie deshalb nicht passive Gläubige, die ihre christlichen Pflichten sofort nach dem Gottesdienst vergessen, sondern aktive Mitglieder der Kirchengemeinde, die ihren Beitrag in das Werk der Errichtung der Kirche Christi einbringen. Nicht nur Sie brauchen die Kirche, sondern die Kirche braucht auch Sie. Die Kirche existiert durch Sie, dank Ihrer Teilnahme an ihrem Leben, dank Ihrer geistigen, moralischen und materiellen Unterstützung. Jeder von Ihnen hat etwas, was er mit der Kirche teilen könnte: der eine hat materiellen Reichtum, ein anderer Freizeit, ein dritter Talente und Fähigkeiten, die er zum Nutzen der Kirche einsetzen könnte. Vergraben Sie Ihr Talent nicht in der Erde, setzen Sie es ein, damit es hundertfachen Nutzen bringe und das Leben vieler Menschen in Ihrem Umkreis verändere.

Meine Lieben! Hören wir in dieser lichten Osternacht den an uns gerichteten Aufruf des heiligen Apostels Paulus: "Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!" (Phil 4,4). Die Freude über die Auferstehung Christi möge nie aus Ihrem Herzen weichen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Nahestehenden Frieden, Freude und Wohlergehen. Der Segen des Herrn sei mit euch allen. Christus ist auferstanden!

Übersetzung aus dem Russischen: Erzdiakon Viktor Schilowsky, DDr. Johann Krammer

    

 

Ostern ist immer

Bischof Hilarion von Wien und Österreich

Die Kirche existiert, dem Himmel zugewandt auf der Erde, sie lebt in der Zeit und atmet doch zugleich Ewigkeit. Ewigkeitswert liegt auch dem kirchlichen Kalender und allen Gottesdiensten des Jahres-, Wochen- und Tageskreises zu Grunde. Im Rahmen eines Jahres gedenkt die Kirche des Schöpfungsplans und erlebt die gesamte Welt- und Menschheitsgeschichte in der göttlichen Heilsabsicht zur Rettung der Menschheit. Im Jahreskreis der Feste läuft das Leben Christi vor unseren Augen ab - von seiner Geburt bis zur Kreuzigung und Auferstehung, das Leben der Gottesmutter - von ihrer Zeugung bis zu ihrem Entschlafen, das Leben aller durch die Kirche verherrlichten Heiligen.

Im Laufe einer Woche und einer Tageseinheit wird diese Geschichte wiederum vergegenwärtigt in den Gottesdiensten. Jeder Kreis hat ein Zentrum, an dem er sich orientiert: Mittelpunkt des Tageskreises ist der Gottesdienst der Eucharistie, Zentrum des Wochenkreises ist der Auferstehungstag und Zentrum des Jahreskreises das Fest der Auferstehung Christi, Ostern.

Die Auferstehung Christi war das bestimmende Ereignis in der Geschichte des christlichen Glaubens. »Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich«, schreibt der Apostel Paulus (1. Korinther 15,14). Wäre Christus nicht auferstanden, wäre das Christentum lediglich eine von vielen Morallehren und religiösen - Weltanschauungen geworden, vergleichbar dem Buddhismus oder dem Islam.

Die Auferstehung Christi legte den Grund der Kirche durch neues Leben und ein neues gottmenschliches Sein, in welchem der Mensch Gott wird, weil Gott Mensch wurde. Das Fest der Auferstehung Christi war, solange es Kirche gibt, der Eckstein des christlichen Kalenders.

Die kirchlichen Feste sind nicht nur einfache Erinnerungen an Ereignisse aus weit zurückliegender Vergangenheit. Sie wollen uns vielmehr mit in jene geistliche Realität hineinnehmen, die hinter ihnen steht und überzeitliche unvergängliche Bedeutung hat für einen jeden von uns. Jeder Christ nimmt Christus als seinen Erretter an, der - ihm zugut - Fleisch geworden ist. Deshalb werden alle Ereignisse im Leben Christi für einen jeden Christen zu einem persönlichen Erlebnis und Teil geistlicher Erfahrung. Das Fest ist also heutige Aktualisierung eines vor langer Zeit erfolgten Geschehens und ereignet sich immer wieder, zeitlos. Zu Weihnachten hören wir in der Kirche »Heute ist Christus in Bethlehem geboren«, zu Epiphanias (dem Fest der Taufe Christi im Jordan) - »Heute wird die Natur der Wasser geheiligt«, zu Ostern - »Heute hat Christus den Tod überwunden und ist auferstanden aus dem Grabe.« Wenn Menschen außerhalb der Kirche sich häufig an die bereits ihren Händen entglittene Vergangenheit halten oder hoffnungsvoll auf die noch bevorstehende Zukunft zugehen, so werden sie in der Kirche aufgerufen in einem »ständigen Heute« zu leben, d. h. in einer realen, »heute« erfolgenden und täglich sich fortsetzenden Gemeinschaft mit Gott.

Daher durchdringt das Fest der Auferstehung Christi, obwohl es nur einmal im Jahr begangen wird, das ganze Kirchenjahr, und österlicher Abglanz liegt auf dem gesamten liturgischen Kreis. Ostern oder Passah ist nicht bloß ein Kalenderdatum. Für den Christen ist Ostern immer, weil er stets die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus braucht. Der ehrwürdige Serafim von Sarow grüßte das ganze Jahr hindurch seine Besucher mit den österlichen Worten »Christus ist auferstanden«.

  

 

Auf dem Weg zum leeren Grab

Philipp Harnoncourt, Graz

Am ersten Tag der Woche gingen die Frauen mit wohlriechenden Salben , die sie selbst zubereitet hatten, in aller Frühe zum Grab, in dem Jesus bestattet worden war. Da sahen sie, dass der Stein vom Grab weggewälzt war. Sie gingen in das Grab hinein, aber den Leichnam Jesu, des Herrn, fanden sie nicht. Während die Frauen ratlos dastanden, traten zwei Männer in leuchtenden Gewändern zu ihnen. Die Frauen erschraken und blickten zu Boden. Die Männer aber sagten zu ihnen: "Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden! Erinnert euch doch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen." Da erinnerten sie sich an seine Worte. Sie kehrten vom Grab in die Stadt zurück und berichteten alles den Elf und den anderen Jüngern. Es waren Maria Magdalena, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus; und auch die übrigen Frauen, die bei ihnen waren, erzählten es den Aposteln. Doch die Apostel hielten das alles für leeres Geschwätz und glauben den Frauen nicht. Petrus aber stand auf und lief zum Grab. Er beugte sich vor, sah aber nur die Leinenbinden dort liegen.Dann ging er nach Hause - voll Verwunderung über das, was geschehen war. (Lukas 24, 1-12)

Das Evangelium der Osternacht, das eben vorgelesen worden ist - es ist wiederum vom Evangelisten Lukas geschrieben, wie das vom Palmsonntag und das vom Ostermontag -, spricht von einem Weg, wie diese beiden anderen.

Frauen gehen am dritten Tag nach dem Tod Jesu in aller Frühe zu seinem Grab, um ihm wenigstens noch jenen Dienst zu erweisen, der zwischen seiner Abnahme vom Kreuz und seinem sehr eilig vorgenommenen Begräbnis nicht mehr möglich war, ohne sich unrein zu machen.

Sie hätten am jüdischen Ostermahl nicht teilnehmen können, wenn sie nach Sonnenuntergang einen Leichnam berührt hätten, und außerdem war der folgende Tag auch noch ein Sabbat.

Jetzt aber wollten sie den Leichnam Jesu salben. Ihre große Zuneigung zu ihm kommt darin zum Ausdruck, dass sie selbst die wohlriechenden Salben bereitet hatten.

Niemand von den Menschen, die Jesus begleitet haben, erwartet ein Wunder. Er, auf den sie ihre Hoffnungen gesetzt haben, er, der Tote auferweckt hatte, er war jetzt selbst tot.

Die Repräsentanten der offiziellen Religion - die Ältesten, die Schriftgelehrten und die Hohenpriester - hatten seine Hinrichtung verlangt; ein aufgewiegelter Mob hatte lautstark seine Kreuzigung gefordert; und die Inhaber der politischen Macht - der bedeutungslose Schattenkönig Herodes der Jüngere und der römische Statthalter Pontius Pilatus hatten schließlich zugestimmt.

Wie eine riesige Seifenblase war das vielversprechende Wirken Jesu geplatzt und vernichtet.

Die Männer, die zu Jesus gehört hatten - seine Apostel und die übrigen Jünger - waren zwar anscheinend noch irgendwo in Jerusalem beisammen, aber ein Gang zum Grab lag ihnen fern. Zu groß war ihre Enttäuschung, vielleicht sogar ihre Verbitterung darüber, einige Jahre mit diesem Wunder-Rabbi vertan zu haben. Manche hatten schon von ihren großen Karrieren in seinem geträumt.

Einige machen sich schon bereit, um diesen Kreis schleunigst zu verlassen.

Wir haben auch heute - ebenso wie schon am Palmsonntag - zu beachten, dass die Evangelisten ihre Berichte nicht in den Tagen der geschilderten Ereignisse niedergeschrieben haben, gleichsam als Protokoll des Geschehens, sondern erst viel später, als sie bereits Zeugen des Glaubens an die Auferstehung Christi waren.

Umso erstaunlicher ist es, in wie schlechtem Licht sie sich selbst darstellen.

Die Frauen kommen allerdings etwas besser weg.

Wann immer in den Evangelien von Wegen gesprochen wird, auf denen sich etwas ereignet, gibt es neben dem oder hinter dem, was geschildert wird, etwas Besonderes zu beachten: einen Prozess - das heißt wörtlich einen Vorgang - der Glaubensbedeutung enthält. Glauben ist ja ein solcher Vorgang, eine Bewegung in einer bestimmten Richtung, gewissermaßen ein Sich-verlassen-auf. In jedem Vorgang bleibt etwas zurück, und Neues wird erreicht.

Der Weg der Frauen zum leeren Grab ist der zaghafte Beginn des Weges zum Glauben an die Auferstehung. Aber dieses Ziel ist noch weit entfernt.

Der Bericht lässt aber den aufmerksamen Hörer österliche Zeichen in manchen Bemerkungen erkennen. Die nachösterlichen Berichterstatter haben es nicht verabsäumt, verschlüsselte Hinweise auf die Auferstehung in ihre Texte einzubauen.

° Da ist einmal die Zeitangabe am Beginn des Berichtes: Am Ersten Tag der Woche. Der Erste Tag der Woche - nach unserer Wochentagsordnung immer der Sonntag - ist Gedächtnis des ersten Schöpfungstags, an dem Gott spricht: Es werde Licht!, und an dem der Schöpfer scheidet zwischen Licht und Finsternis. Die Erschaffung des Lichts, das Werk des ersten Schöpfungstages, ist vollendet im Sieg des ewigen Lichts über die Finsternis von Sünde und Tod. Für die Christen wird dieser Tag zu ihrem Urfeiertag, im Gedenken an jenen Tag, an dem Christus von den Toten erstanden und seinen Jüngern erschienen ist.

° Es folgt der Hinweis auf den Stein, der vom Grab weggewälzt war. Im österlichen Psalm 118 ist vom Stein die Rede, den die Bauleute verworfen haben, der aber zum Eckstein geworden ist, zum Stein des Anstoßes, zum Stein der zwei Wege scheidet, zum großen Prüf-Stein zwischen Leben und Tod.

° Das leere Grab weckt zunächst keinen Auferstehungs-Glauben; es lässt - wie später zu sehen und zu hören ist - verschiedene Deutungen zu: vom gestohlenen Leichnam bis hin zu dem der aus dem Scheintod erwacht und aus dem Grab geflüchtet ist, um irgendwo im Osten ein neues Leben zu beginnen.

° Zwei Männer in leuchtenden Gewändern traten zu den Frauen. Es sind zwei, das heißt, sie haben eine glaubwürdige Botschaft authentisch zu bezeugen. Und sie tragen leuchtende Gewänder, das heißt sie sind Boten des Himmels.

° Noch ehe sie den Frauen ihre Botschaft kundtun, stellen sie jene bedeutungsschwere Frage, die den unüberhörbaren Vorwurf mangelnden Glaubens enthält: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier! Als Gefolgsleute Jesu hätten sie doch wissen müssen, dass ihn der Tod nicht festhalten kann.

° Jetzt erst folgt die neue Oster-Botschaft Er ist auferstanden! und dazu die Ergänzung, dass er ja vorausgesagt habe, er werde gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.

Anders als im Bericht von Matthäus und Markus findet sich bei Lukas keine Aufforderung an die Frauen, den Aposteln die Auferstehung Jesu mitzuteilen, aber sie gehen und berichten ihnen, was sie gehört und gesehen haben. Sie tun es beinahe ängstlich, als wären sie sich dessen, was sie erlebt haben, selbst nicht sicher!

Tatsächlich halten die Männer die Erzählung der Frauen für haltlose Phantastereien.

Allein Petrus macht sich auf den Weg, um sich selbst ein Bild vom Geschehen zu machen. Aber auch er kommt über eine große Verwunderung über alles, was geschehen war, noch nicht hinaus!

Der Weg zum leeren Grab, auch der Bericht vom leeren Grab und sogar der Lokalaugenschein beim leeren Grab führen noch nicht zum Glauben an die Auferstehung.

Erst der Auferstandene selbst - und nur er selbst! - bringt den Seinen die Gewissheit, dass er auferstanden ist.

Was für ein Trost für alle, die zweifeln - damals und heute!

 

aus:
Europaica
Bulletin of the Representation of the Russian Orthodox Church
to the European Institutions
Bulletin de la Représentation de l'Eglise Orthodoxe Russe
près les Institutions Européennes


 

All-Orthodoxe Begegnung im Heiligen Land
Botschaft der Begegnung

4.-7.1.2000: Patriarchen und Vorsteher von 11 orthodoxen Kirchen in Jerusalem
Auf Einladung durch S.H. Patriarch DIODOROS von Jerusalem kam es zum Weihnachtsfest nach dem julianischen Kalender zur Begegnung der Vorsteher fast aller orthodoxen Kirchen aus aller Welt an den Heiligen Staetten in Jerusalem und Bethlehem:
(von unten nach oben:)

Patriarch DIODOROS der Heiligen Stadt Jerusalem und Ganz Palästinas
Patriarch ALEKSIJ von Moskau und der ganzen Rus´
oekumen. Patriarch BARTHOLOMAIOS von Konstantinopel
Patriarch MAKSIM von Bulgarien
Patriarch THEOKTIST von Rumänien
Patriarch PAVLE von Serbien (nicht im Bild)
Patriarch ILIJA Katholikos von ganz Georgien (nicht im Bild)
Für das Patriarchat von Alexandreia: Metropolit Chrysostomos von Karthago
Für das Patriarchat von Antiocheia: Metropolit Johannes von Pergamon
Erzbischof ANASTAS von Tirana und ganz Albanien
Erzbischof CHRYSOSTOMOS von Zypern
Erzbischof CHRISTODOULOS von Athen und ganz Griechenland
Metropolit SAWA von Warschau und ganz Polen
Für die Kirche der Tschechischen Lande und der Slowakei: Bischof IOANN
und Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe
aus der gesamten orthodoxen Welt

 
Im Zeichen des neuen Millenniums

Das Treffen der Vorsteher der Orthodoxen Kirchen zum Weihnachtsfest in Bethlehem

Auszüge aus einem Artikel von Nikolaus Thon
in Orthodoxie Aktuell

... Zum 1. Januar 2000 wurde weltweit in vielerlei Weise der Beginn des dritten Millenniums unserer Zeitrechnung begangen - sogar in den meisten Ländern mit nur einem äußerst geringen christlichen Bevölkerungsanteil.

Viele dieser Feiern allerdings ließen kaum erahnen, wer denn eigentlich den Beginn dieses Kalenders markiert, wer da von unseren Vorfahren so sehr als Anfang eines neuen Äons empfunden wurde, dass man nicht mehr nach den römischen Cäsaren oder der Gründung der Kaiserstadt am Tiber die Jahre berechnen wollte, sondern nach der Geburt dessen, den man als den Erstgeborenen der neuen Schöpfung ehrte, nämlich unseren Herrn Jesus Christus.

Im Lärm der Neujahrsnacht ging auch in den hiesigen Medien weitgehend ein Ereignis unter, das besondere Dimensionen aufwies, nämlich das Treffen praktisch sämtlicher Vorsteher und zahlreicher Gläubiger der Orthodoxen Kirche am Ort der Geburt Christi, in Bethlehem, das dort am 25. Dezember nach julianischem Kalender, also am 7. Januar 2000 nach neuer Zeitrechnung, stattfand. Einladender zu allen diesen Feierlichkeiten war der Vorsteher der Kirche zu Jerusalem, Patriarch Diodoros.

Elf der 14 orthodoxen Kirchen aus aller Welt waren durch ihre Vorsteher und Delegationen vertreten. Lediglich der Patriarch von Antiocheia war - ebenso wie seine Bischöfe arabischer Nationalität - aus politischen Gründen an einer persönlichen Teilnahme gehindert. Kurzfristig seine Teilnahme absagen musste Patriarch Petros VII. von Alexandreia, der an der Grippe erkrankt war, und es fehlte natürlich auch der bisherige Vorsteher der Orthodoxen Kirche der Tschechischen Länder und der Slowakei Metropolit Dorotej, der - nur einige Tage zuvor - im Alter von 86 Jahren gestorben war. Aber auch diese Kirchen waren durch hochrangige Delegationen in Bethlehem vertreten.

Neben den Geistlichen Vorstehern der Orthodoxie nahmen auch die politische Spitzen vieler mehrheitlich orthodoxer Länder an dem Gipfeltreffen teil.

Der Patriarch von Moskau wurde nicht nur von mehreren Bischöfen, u.a. dem Metropoliten von Kiev und der ganzen Ukraine Volodymyr, sondern auch von mehr als 1000 Pilgern - Geistlichen, Seminaristen, Mönchen, Nonnen und Laien - aus ganz Russland begleitet, so dem gerade zum Altpräsidenten des Landes gewordenen Boris Jelzin, der mit seiner Ehefrau Naina und seinen Töchtern Tatjana und Alina sowie einer Enkelin und einer Delegation von 150 Personen - darunter dem russischen Außenminister Igor Ivanov und zahlreichen Sicherheitsbeamten - anreiste (und bezeichnenderweise in den meisten Medien mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als alle Patriarchen zusammen!).

Der Einladung des Patriarchen von Jerusalem gefolgt waren auch die Präsidenten Konstantinos Stephanopoulos von Griechenland, Edvard Shevardnadze von Georgien, Emil Constantinescu von Rumänien, Petru Lucinschi von der Moldau, Leonid Kutschma von der Ukraine und Oleksandr Lukashenko von Belarus. Außerdem weilten der Präsident der Palästinensischen Administration, Yassir Arafat, und der jugoslawische Thronprätendent, Kronprinz Aleksandar Karadjordjeviç, mit seiner Frau Katarina sowie Vertreter der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Zypern der Feier bei. Übrigens erhielten alle amtierenden Präsidenten, Altpräsident Jelzin, sowie der Parlamentspräsident Bulgariens Sokolov, der Sondergesandte Zyperns Kasoulidis und der jugoslawische Botschafter in Israel, Mirko Stefanoviç, der Präsident Milosheviç vertrat, vom Patriarchen von Jerusalem die höchste Auszeichnung, die seine Kirche vergibt, den Orden des Großkreuzes vom Heiligen Grab.

...

Die in verschiedenen Hotels Jerusalems untergebrachten einzelnen Delegationen absolvierten in den Tagen vor und nach dem eigentlichen Treffen ein reichhaltiges Besuchsprogramm, das teils in Besuchen bei den Einrichtungen ihrer eigenen Kirchen im Heiligen Land bestand, teils auch andere Stätten einschloss; so weilte der Serbische Patriarch etwa in Qumran, am Toten Meer und in Jericho, während Patriarch Aleksij II. die verschiedenen russischen Klöster und Missionen besuchte.

 

Einen Schwerpunkt des Treffens der Vorsteher der orthodoxen Kirchen bildeten natürlich die gemeinsamen Gottesdienste etwa in der Auferstehungskirche zu Jerusalem, wo vor dem Grab des Herrn eine kurze Doxologie gefeiert wurde, der der Ökumenische Patriarch vorstand, der zuvor in griechischer Sprache das Evangelium von der Auferstehung Christi verlesen hatte, das dann in kirchenslawischer Sprache noch einmal der Moskauer Patriarch verkündete.

 

Den festlichsten Gottesdienst stellte natürlich die Liturgie am Weihnachtstag in der Geburtskirche in Bethlehem dar, also in einer Basilika aus der Zeit Kaiser Konstantins des Großen, die alle Kirchenvorsteher gemeinsam mit etwa 40 Bischöfen, zahlreichen Priestern und Diakonen feierten und bei der das Evangelium in vier Sprachen verkündet wurde, nämlich in Griechisch, Arabisch, Kirchenslawisch und Rumänisch.

Das Ergebnis der den Gottesdiensten am 5. Januar 2000 vorangegangenen gemeinsamen Beratungen der Vorsteher, in denen die unterschiedlichen und oft doch recht ähnlichen Probleme in den einzelnen Ländern angesprochen wurden, wird in ihrer Botschaft deutlich, die sie an die ganze Welt gerichtet haben. Diese stellt nicht nur ein unzweideutiges Bekenntnis zur Heilsbotschaft Christi dar, sondern verdeutlicht auch, dass die Orthodoxie gewillt ist, tatkräftig an der Gestaltung des neuen, des dritten christlichen Jahrtausends mitzuwirken. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr bei den Beratungen nach Auskunft des Sprechers des Patriarchats von Jerusalem die politische Lage im Nahen Osten und die Wichtigkeit von "Frieden, Stabilität und Brüderlichkeit zwischen den Völkern".

...

Man wird die Bedeutung des Treffens von Bethlehems, gerade auch wegen der Einbeziehung der politischen Führer, als gewichtig ansehen dürfen. Der britische Historiker Sir Stephen Runciman hat vor einiger Zeit das neue Millennium als das "Jahrtausend der Orthodoxie" bezeichnet. Dies triumphalistisch zu interpretieren, hieße, die Aussage misszuverstehen: Sie ist vielmehr in dem Sinne zu interpretieren, dass die Orthodoxe Kirche sich ihrer Aufgabe innerhalb der Gesamtchristenheit immer deutlicher bewusst wird, wie dies vor kurzem der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Christodoulos akzentuierte, wenn er sich für einen weiteren Dialog mit Europa und gegen die "Introvertiertheit der Orthodoxen Kirche" ausgesprochen hat: "Viele Europäer und viele Orthodoxe möchten, dass wir uns von Europa verabschieden und unseren eigenen Bogen konträr zum Westen spannen. Das wäre sowohl für den Westen wie auch für den Osten katastrophal". Auch im Interesse des Westens sei es notwendig, einen Dialog der orthodoxen Christen mit ihm aufzunehmen, denn angesichts der "geistlichen Krise" im Westen müsse die Orthodoxie ihre Stimme einbringen.

Dies hat sie in Bethlehem getan: Es bleibt nun abzuwarten, ob die Welt bereit ist, diese zu beachten.

 

 

Botschaft der Vorsteher der Orthodoxen Kirchen
aus Anlass des Beginns der Feier der zwei Jahrtausende seit der Geburt unseres Herrn Jesus Christus im Fleische

1.
Wir, die mit Gottes Hilfe heute am 25. Dezember 1999 - 7. Januar 2000, am Fest der Geburt unseres Herrn und Gottes und Erlösers Jesus Christus im Fleische, durch Gottes Erbarmen versammelten und gemeinsam die Liturgie in der Bethlehemer heiligen Kirche der Geburt des Herrn feiernden Vorsteher der Heiligsten Orthodoxen Kirche senden aus der Höhle, die Gott aufgenommen, den Friedenskuss allen unseren Brüdern und Konzelebranten überall in der Welt und den Segen von Gott der ganzen Fülle der Einen Heiligen Katholischen und Apostolischen Orthodoxen Kirche zusammen mit allen an Christus glaubenden Menschen in aller Welt.
Freut euch immerdar, Brüder, über den Herrn, unseren Gott.

2.
Lob und Ehrpreis senden wir empor zu unserem in der Dreieinigkeit verehrten Gott, der in seiner Macht Zeiten und Jahre gesetzt hat, dafür, dass er uns gewürdigt hat, wohlbehalten dieses historische Datum der Menschwerdung unseres Gottes zu erleben und an jenem Ort zu weilen, "wo seine Füße standen" (Ps 131 [132],7), wo seine unermessliche Liebe um des Heils der Welt willen "die Himmel geneigt hat und herabfuhr" (2 Kön 22,10).
Jetzt, an der Schwelle der Beendigung des zweiten Millenniums seit der Geburt Christi steht die in der Überlieferung der Apostel und heiligen Väter verbleibende Kirche Christi mit Ehrfurcht vor der unaussprechlichen Menschenliebe Gottes, der in seiner Liebe sichtlich die Zeit von einem Träger der Vergänglichkeit und des Todes umgewandelt hat zu einem Mittel des Lebens und der Unsterblichkeit und von einem bloßen Anzeiger kalendarischer Wechsel, der zur Ordnung des menschlichen Lebens eingerichtet ward, zu einer Erfahrung der Ewigkeit.

3.
Für unseren orthodoxen Glauben erweist sich die Fleischwerdung des Sohnes und Wortes Gottes in einer bestimmten Zeit und an einem konkreten Ort vor allem als eine Heiligung der Geschichte und der Welt durch ihre Umgestaltung zum Reich Gottes.
Die Zeiteinteilung nach der Göttlichen Fleischwerdung in einen Zeitabschnitt vor der Geburt Christi und einen nach ihr erinnert den Menschen daran, dass von jenem Tage an die Geschichte schon nicht nur vom Blickpunkt der Kräfte dieser Welt, der politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Macht aus gedacht ist und betrachtet wird, so als ob sie die Zeiten beherrsche, sondern vom Blickpunkt des Reiches der Göttlichen Liebe, welche den Hauptgrund in der Geschichte darstellt und deren Ankunft in der Zeit durch die Geburt des Herrn vom Heiligen Geist und der Immerjungfrau Maria bezeichnet wird.

4.
Indem wir in der Erkenntnis dieser Wahrheit den Tag der Geburt des Herrn Jesus Christus an diesem heiligen Ort seiner Erscheinung feiern, blicken wir in Dankbarkeit gegenüber dem Herrn und ihrem Bildner auf die abgelaufene zweitausendjährige historische Entwicklung der Kirche, denn durch den Heiligen Geist hat er sie, die häufig bis auf das Blut bekämpft wurde, unversehrt bewahrt - zur Bekräftigung seiner Worte, dass "die Pforten der Hölle sie nicht überwinden" (Mt 16,18). Und wirklich war das historische Leben der Kirche in diesem langdauernden Zeitabschnitt ein siegreicher Kampf mit den verschiedenartigsten Feinden, sodass sie sich mit dem Apostel nichts anderem zu rühmen vermöchte als ihrer "Schwachheiten" (2 Kor 12,5), sie, die wortwörtlich wie mit "Purpur und Seide" geschmückt wurde mit dem Blut ihrer Martyrer und benetzt wurde durch die "Ströme der Tränen" ihrer ehrwürdigen Asketen.
Deshalb zeigt die Orthodoxe Kirche auch weiterhin der heutigen Welt das Kreuz des Herrn, der "sanftmütig und demütig von Herzen" (Mt 11,29), der einen jeden Menschen unabhängig von dessen Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder anderer Unterscheidungsmerkmale liebt - und natürlich den sündigen und "geringen Bruder", den die Mächtigen dieser Welt häufig zur Erreichung ihrer Ziele opfern wie eine wertlose Sache.

5.
In dieser zweitausendjährigen Periode ihrer Geschichte hat die Kirche Christi häufig auf Grund von Unglücken und wegen der Sündhaftigkeit ihrer Mitglieder, der Hirten wie der Herde, Wunden davongetragen und den Außenstehenden dem Anschein nach oder auch tatsächlich Anlass zur Kritik oder zum Auftreten gegen ihren allheiligen Stifter und seinen heiligen Leib, "der die Kirche ist" (Kol 1,24) gegeben.
Als tragischster Ausdruck dieser Tatsache erwies sich die in vielem vom menschlichen Egoismus und anderen menschlichen Schwächen verursachte Spaltung der christlichen Welt, die niemanden, der die Kirche liebt, gleichgültig lassen kann, und natürlich auch nicht die Bischöfe, die von Gott zu Hütern ihrer Einheit eingesetzt sind.
Die Schande der Spaltung der christlichen Welt, die wir auf Grund der Gegebenheiten und der Geschehnisse der zweitausendjährigen Existenz der Kirche geerbt haben, steht uns als eine klaffende Wunde vor Augen, um deren Heilung unablässig zu beten und beständig zu sorgen und unermüdlich zu arbeiten wir alle gerufen sind.
Gleichermaßen bedauern wir aufrichtig und tief die Existenz von Schismen innerhalb unserer Heiligen Orthodoxen Kirche. Noch einmal verurteilen wir diese Schismen und rufen alle Schismatiker auf, in den Schoß der kanonischen Kirche zurückzukehren.

6.
Jetzt aber, da wir nach dem Ausdruck des Apostels Paulus das "hinter uns Liegende vergessen und uns nach dem Kommenden ausstrecken" (Phil 3,13), schauen wir auf das neue Jahrtausend mit Glauben an die Vorsehung, die Liebe und das Erbarmen des allgütigen Gottes und sind uns gleichzeitig der Vielfältigkeit der Probleme, der Zeitkrise und der Bedrängnis, der der heutige Mensch ausgesetzt ist, bewusst.
Als Hirten der Orthodoxen Kirche, die immer dem Menschen in seinen Problemen ein Helfer war, können wir all dem gegenüber nicht gleichgültig bleiben, was das neue Jahrtausend dem Menschen bringt und in Besonderheit dem, dass es ihm verspricht, wie ein scharf schneidendes Schwert die Probleme zu lösen und ihn vom Unglück zu befreien, gleichzeitig aber mit neuen Nöten das Überleben des Menschen als "Bild Gottes" und Schöpfung des "Guten" bedroht.
Indem wir daher den menschgewordenen und auferstandenen Herrn als Sohn Gottes, als den einzigen Erlöser des Menschen und der ganzen Welt, als Stifter seiner Heiligen Kirche bekennen, predigen auch wir so die Buße als einzigen Weg des Heils für jeden Menschen, für jede Zeit, für jede Epoche und in allen Situationen, wie er sie gepredigt hat und wie dies unsere Väter wiederholt haben.

7.
Die Tatsache, dass die derzeitige eucharistische Versammlung der Vorsteher der Orthodoxen Kirchen an den heiligen Stätten Bethlehems vollzogen wird und so unsere Einheit offenbar macht und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe des himmlischen Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes empfängt, ruft uns dazu auf, mit gebeugten Knien und im Gebet den nahe Stehenden wie den Fernen diese himmlische Engelsbotschaft zu verkünden, welche in jener mystischen Nacht der göttlichen Geburt des Erlösers erklang: "Ehre sei Gott in den Höhen und auf Erden Friede, unter den Menschen Wohlgefallen!" (Lk 2,14).
Daher richten wir von diesem heiligen Ort den Aufruf an die Lenker dieser Welt, dass sie den vielersehnten Frieden in dieser Region und für alle hier lebenden Völker erlangen und stärken und die in Jahrhunderten geheiligte Ordnung, den Status-quo, der heiligen Stätten achten. Eine Wallfahrt in friedlichen Zeiten zu diesen allen Christen der Welt heiligen Stätten bedeutet einen besonderen Segen und eine geistliche Aufmunterung in Christo und eine Erneuerung für jedes christliche Bewusstsein, da wir dabei - gemäß der Erkenntnis der Väter des VII. Ökumenischen Konzils - "den an ihnen aufgewachsenen, erschienenen und im Fleische erkannten und uns von der Verirrung errettenden Christus, unseren Gott" erfahren.
Da wir jetzt an dieser heiligen Stelle stehen, verspüren wir die Wichtigkeit der Worte unseres heiligen Vaters Athanasios des Großen über den menschgewordenen Herrn, "denn jener ist Mensch geworden, damit wir vergöttlicht würden, und er ist uns im Leibe erschienen, damit wir eine Vorstellung haben vom unsichtbaren Vater!"

8.
Von diesem geheiligten Ort und im Namen des Urhebers des Friedens, Jesu Christi, rufen wir mit großer Liebe zu ihnen alle Völker und ihre Lenker dazu auf, für eine Beendigung der Kriege und die Lösung der zwischen ihnen auftretenden Unstimmigkeiten mit friedlichen Mitteln zu arbeiten, indem sie mit allen Kräften den Geist der Versöhnung stärken und verbreiten.
Die Orthodoxe Kirche ist bereit, dabei mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln mitzuwirken, die bei weitem nicht politischen, sondern nur geistlichen Charakters sind, damit die Religion aufhört, wie dies in der Vergangenheit vorgekommen ist, ein Grund oder Vorwand für Kriege zu sein und sich stattdessen als beständiger Faktor des Friedens und der Versöhnung erweist. Erfüllt von diesem Geist wenden wir uns auch an die anderen großen Religionen, in Sonderheit an die monotheistischen Religionen des Judentums und des Islam, wobei wir planen, die allergünstigsten Voraussetzungen für einen Dialog mit ihnen um der friedlichen Koexistenz aller Völker zu schaffen.
Auf der Basis der Lehre des Evangeliums und unserer heiligen Überlieferung verwirft die Orthodoxe Kirche den Hass gegenüber anderen Überzeugungen und verurteilt den religiösen Fanatismus, in welcher Gestalt er sich auch zeigen mag.

9.
Außerdem reichen wir von diesem Ort und im Namen des Herrn Jesus, der "sich hingegeben hat für das Leben und das Heil der Welt", herzlich unsere Hand menschenliebenden Mitgefühls und der Hilfe all denen, die irgendeiner Art von Diskriminierung ausgesetzt sind allein aus dem Grunde einer natürlichen, sozialen oder kulturellen Verschiedenheit.
Das zu erwartende Bevölkerungswachstum im neuen Jahrtausend wird möglicherweise eine Reihe neuer Probleme schaffen und die Koexistenz und das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen unersetzlich machen. Dies darf man allerdings nicht auf dem Wege der Ausmerzung der spezifischen Besonderheiten der Kulturen im Schmelztiegel einer gleichmacherischen und monolithischen Globalisierung zu erreichen suchen.
Wir halten es auch für unerlässlich, die Aufmerksamkeit aller an Christus Glaubenden auf die Erscheinung einer neuen Form des Götzendienstes zu lenken, die darin besteht, dass Gewalt, Geld und Wohlergehen vergötzt werden, die dann sinnloserweise drohen, im Leben der Menschen die Liebe des Dreieinigen Gottes, die Freiheit, die Unwiederholbarkeit der menschlichen Persönlichkeit ebenso zu verdrängen wie den Vorgeschmack der Teilhabe am ewigen Gottesreich als dem einzigen wahren Sinn der menschlichen Existenz.

10.
Bewegt von dem hohen Gefühl der pastoralen Verantwortung für unserer Herde, möchten wir das Praktizieren des Proselytismus von Seiten einiger nichtorthodoxer Bekenntnisse und religiöser Gruppen in jenen Gebieten verurteilen, wo im Verlaufe von Jahrhunderten die Orthodoxe Kirche Christi ihre pastorale Sorge ausgeübt hat. Wenn sie nicht die existierende kirchlich-kanonische Struktur, die Prinzipien der christlichen Moralität und die elementare Ethik einer gegenseitigen Achtung und eines Verstehens auf echt christlicher Ebene beachten, werden in ihrem Ergebnis unannehmbare Probleme die Folge sein, die im neuen Jahrtausend zwischen diesen Christen selbst entstehen werden. Wir nähren die Hoffnung, dass diese Kirchen und Gruppen die kanonischen Rechte, die Freiheit und die Wahrheit einer jeden der orthodoxen Kirchen achten.

11.
Das Nahen des dritten Jahrtausends seit Christi Geburt findet den Menschen angesichts eines stürmischen wissenschaftlichen Prozesses, der unter Mitwirkung der Technik die Befreiung von vielen Krankheiten und eine Verbesserung der menschlichen Lebensqualität verspricht. Die Kirche begrüßt mit großer Freude diese Anstrengungen, vermerkt aber auch die Gefahr, die in einem radikalen Eingreifen des Menschen in die Strukturen und den Bestand der genetischen Eigenheit der Lebewesen verborgen liegt, wie auch das Verderben einer unbedachten und egoistischen Einmischung des Menschen in die natürliche Umwelt, als deren Ergebnis das Gleichgewicht zerstört wird, das die Lebensfähigkeit dieser Umwelt ermöglicht.
Angesichts dieser Gefahr rufen wir alle verantwortlichen Personen dazu auf, dass sie der Freiheit und Einzigartigkeit der menschlichen Person und der Integrität der göttlichen Schöpfung dienen, indem sie Grenzen ziehen, in denen sich die Wissenschaft entwickeln kann.
Außerdem scheinen für das neue Jahrtausend große soziale Probleme besonders gefährlich zu werden, unter denen schon jetzt Einzelpersonen wie ganze Völker leiden. Dies sind etwa die Arbeitslosigkeit, sind Hunger und eine sich ausweitende Kluft zwischen Reichen und Armen, eine grausame Form der Arbeit, der Handel mit menschlichem Leben, unheilbare Krankheiten und schwere menschliche Leiden.
Die Orthodoxe Kirche hält besonders die Lösung der kritischen Probleme für wichtig, die die Jugend unserer Zeit von einer geistlichen Erziehung, von Moralität und sozialer Orientierung abhalten, von der doch in vielem die Zukunft der menschlichen Gesellschaften und der Menschheit überhaupt abhängt.
Die Hinwendung zu den "Begierden des Fleisches und den Begierden der Augen" (1 Jo 2,16), zu einem fälschlich so genannten Verständnis von Religionen und Ideologien, die Zunahme der Drogen und die unbedachte Abwendung vom Leben in Gott zu einer wahnwitzigen Lebensform bringen einen Geist des Niedergangs und rufen im Endergebnis einen vorzeitigen geistlichen und biologischen Niedergang der Jugend hervor.
Die Fürsorge, Liebe und besondere pastorale Sorge der Kirche für die Kinder und die Jugend sind - nach dem Beispiel des Segens und der Liebe des ewigen Vorbildes für die Jugend, des Herrn Jesus, für sie - beständig und unwandelbar, damit solchermaßen das Wirken der Jugend auf dem Feld des evangelischen Glaubens und des Lebens in der Kirche zu einer süßen Frucht für die Welt werde. Als selbstverständlich erscheint die Ausdehnung der Hirtensorge der Kirche auch auf das gottgeschaffene Element der Familie, die immerdar und unbedingt auf der Heiligkeit des geheiligten Mysterions der christlichen Ehe basiert.
Quell zur Inspiration, zur Kraft und zur Erleuchtung bei der Lösung aller genannten Probleme ist das Licht des Evangeliums und das aktive Leben der Heiligen unserer Kirche.
In diesem geistlichen Licht und mit Hilfe des Kriteriums der Achtung der Menschenrechte auf internationaler Ebene ist es notwendig, die verwandten Tendenzen der Reorganisation zu kontrollieren, mit deren Hilfe neue staatliche Gebilde erreicht werden sollen, wobei die bestehenden entweder verschmolzen oder mit schon existierenden Einheiten vereint werden sollen. Bei dieser Entwicklung muss unbedingt der Willensfreiheit der interessierten Völker Rechnung getragen werden und es dürfen weder Gewalt noch ihnen fremde Ideen angewandt werden. Dabei verwerfen wir jegliche Tendenz zum Nationalismus oder Rassismus, der danach strebt, die orthodoxe Ekklesiologie zu ersetzen.

12.
Brüder und Kinder im Herrn!
Dieser heilige Ort Bethlehem erstrahlt jetzt durch die Gnade des in der Dreieinigkeit verherrlichten Gottes als Ort eines die ganze Welt umspannenden geistlichen Interesses und richtet jetzt durch uns diese Botschaft der Einheit, der Liebe, des Friedens und des Segens an alle Welt.
Die Pflicht eines jeden Christen ist es, diese himmlische Botschaft zu empfangen, um das neue Jahrtausend mit reinem Herzen, mit Demut und Buße zu beginnen. Mögen uns nicht Gefühle der Furcht und des Pessimismus bestürmen. Die Botschaft der Apostel ist in diesem Fall die nützlichste und aktuellste: "Die Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden, weil die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben!" (Röm 5,5). Der Erlöser Christus schenkt den Menschen den Ausweg aus einer jeden Notlage. Christus schenkt der Welt seinen Frieden, wie er selbst es gesagt hat: "Frieden lasse ich euch zurück, meinen Frieden gebe ich euch" (Jo 14,27). Christus ist der Heiland der Welt und eines jeden von uns. "Es ist keine Rettung in einem andern, und es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, der den Menschen gegeben wäre, in dem wir gerettet würden" (Apg 4,12). Das Frucht bringende Wirken des heiligen Gottes in der Welt erhöht die menschliche Ohnmacht, und "was den Menschen unmöglich ist, ist Gott möglich" (Lk 18,27).
Wir orthodoxen Christen schöpfen die persönliche Wiedergeburt und die Heiligung aus der Teilhabe am heiligen Mysterion der Göttlichen Eucharistie, in dem wir teilhaftig werden des Leibes und Blutes des Herrn zur Nachlassung der Sünden und zum ewigen Leben. Deshalb beugen wir jetzt bei dieser eucharistischen Versammlung zusammen mit der ganzen Orthodoxen Kirche fromm unsere Knie vor dem allmächtigen Herrn, der auferstrahlt ist aus der Höhle als die Sonne der Gerechtigkeit, der in der Welt ein Vorbild des Lebens hinterlassen und uns am Kreuz erlöst hat von der Knechtschaft des Feindes und uns durch seine glorreiche Auferstehung das ewige Leben geschenkt hat.
Von diesem Ort der Geburt des Erlösers und Herrn ausgehend und immer zu ihm hin wandernd beten wir und glauben, dass wir alle, wieder geboren im Heiligen Geist, in das neue Jahrtausend eingehen werden. Brüder, "alles aus Gott Gezeugte besiegt die Welt, und dies ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube!" (1 Jo 5,4). Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch allen.

Amen!

 

Der Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios

Für das Patriarchat von Alexandreia: Metropolit Chrysostomos von Karthago

Für das Patriarchat von Antiocheia: Metropolit Johannes von Pergamon

Der Patriarch der Heiligen Stadt Jerusalem und Ganz Palästinas Diodoros

Der Patriarch von Moskau und der ganzen Rus‘ Aleksij

Der Serbische Patriarch Pavle

Der Rumänische Patriarch Teoctist

Der Bulgarische Patriarch Maksim

Der Katholikos-Patriarch von ganz Georgien Ilija

Der Erzbischof von Zypern Chrysostomos

Der Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Christodoulos

Der Metropolit von Warschau und ganz Polen Sawa

Der Erzbischof von Tirana und ganz Albanien Anastasios

Für die Kirche der Tschechischen Lande und der Slowakei: Bischof Ioann

 

Aus dem Informationsdienst Orthodoxie aktuell , Nr. 01/2000


 

FEIERN und BESUCHE

"100 Jahre Hl. NIKOLAUS KATHEDRALE zu Wien"


S.E. Metropolit PHILARET von MINSK und SLUTSK
Exarch von BELARUS (Weissrussland)
und
Juri LUSHKOV, Buergermeister der Stadt MOSKAU
("Moskauer Woche" in Wien)
(19.-22.9.1999)


S.E.Metr.PHILARETMit der Ankunft des Vertreters des Hl.Synods und des Patriarchen der Russischen Orthodoxen Kirche des Exarchen des Patriarchen für Weißrußland und Metropoliten von Minsk und Slutsk PHILARET am 19. September wurden die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der russischen Hl.NIKOLAUS Kathedrale zu Wien eingeleitet.

Der 20. September begann mit einem Besuch Seiner Eminenz in der Stiftung "ProOriente". Präsident Stirnemann präsentierte zum Jubiläum herausgegebene Buch "Russland und Österreich", in dem sich die Beziehungen der beiden für das kulturelle Erbe Europas so wichtigen Staaten vom 16. bis ins 20. Jahrhundert wiederspiegeln. Vor allem die kirchlich und diplomatisch relevanten Ereignisse von der Gründung des Moskauer Patriarchats bis zum Besuch S.H. Patriarch ALEXIJ II. 1997 in Wien und Graz werden durch Beiträge von österreichischen und russischen Autoren beleuchtet. Abgerundet wird das gezeichnete Bild durch die Wiedergabe des vollständigen Textes aller Ansprachen während des Besuches des Patriarchen, der Dokumente des Dialogs zwischen Rom und Moskau 1991 bis heute sowie von Beiträgen aus den Symposien und Irenischen Initiativen von Pro Oriente 1995 bis heute.

S.E.Metr.PHILARETbeiBgm.HAEUPL,Erzpr.NIKOLAJ,Prof.KRAMMERUm 15 Uhr wurde S.E. Metropolit PHILARET in Begleitung des Klerus und des Pfarrvorstandes der Kathedrale vom Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien Mag. Michael HÄUPL empfangen. Anknüpfend an das vom Metropoliten überreichte Buch über die Kunstschätze Moskaus wurde die Aufnahme der Hl.NIKOLAUS-Kathedrale in die Liste der Sehenswürdigkeiten Wiens und in die Programme für Wienbesucher besprochen.

Danach wurde in der Kathedrale eine Panichida für die Stifter und Wohltäter des Gotteshauses gehalten.

Die Woche "Moskau in Wien" begann um 18 Uhr am 20. September in Anwesenheit des Moskauer Bürgermeisters LUSHKOV mit einer Veranstaltung zu Ehren des 200. Geburtstags von A.C. Pushkin, dessen Denkmal in Oberlaa in enthüllt wurde.

Abends begann im Schottenstift ein von der Stiftung ProOriente organisiertes Symposium zum 70.Geburtstag des in Rom verstorbenen Metropoliten NIKODIM (Rotow) vom damaligen Leningrad. Metropolit Philaret würdigte ihn im Sinne seines Buches "Mann der Kirche". Es folgte ein Vortrag des polnischen Professors Tadeusz KALUSHNI, der den Lebensweg des ehemaligen Metropoliten von Leningrad und Freund der Kirche Roms nachzeichnete.

EmpfangS.E.Metr.PHILARETAm Fest der Geburt der Allerheiligsten Gottesmutter, dem 21. September 1999 wurde um 8 Uhr Seine Eminenz der Höchstgeweihte Metropolit von Minsk und Slutsk, Exarch des Hl.Synods und des Patriarchen der Russischen Orthodoxen Kirche für Weissrussland (Belarus) vor der Kathedrale offiziell willkommen geheissen. EmpfangBgm.LUSHKOVVor dem Aufgang der Kirche erwarteten Bischof AWENIR, Auxiliarbischof der Bulgarischen Orthodoxen Kirche sowie der Klerus mit dem Pfarrvorstand der Kathedrale. Repräsentantinnen der Frauenchorgemeinschaft der Vertretung der Russischen Föderation bei den Internationalen Organisationen in Wien begrüßten zunächst S.E. Metropolit Philaret und später um 9 Uhr den Moskauer Bürgermeister LUSHKOW, der begleitet vom Botschafter der Russischen Föderation in Österreich W.M.GRININ und Mitgliedern des Stadtrates von Moskau bei der Kirche eintraf, in traditionellen Kostümen mit Salz und Brot.
Bgm.LUSHKOVu.S.E.Metr.PHILARETVor Beginn des Gottesdienstes begrüßte Metropolit Philaret den Moskauer Bürgermeister in der Kirche.
Dieser übergab als Geschenk der Stadt Moskau an die russische orthodoxe Hl.NIKOLAUS-Kathedrale eine eigens dafür angefertigte Ikone des Hl.GEORG, des Patrons der Stadt Moskau, der auch im Staatswappen der Russischen Föderation zu sehen ist. Als Gegengeschenk wurde eine von CHRYSOSTOM Pijnenburg, einem Erzpriester der Wiener Kathedrale, geschaffene Ikone des Hl.NIKOLAUS.


wird fortgesetzt

S.E.Metr.PHILARET/Liturgie/Hl.NIKOLAUS-Kathedrale

Bgm.LUSHKOVmitFamilieOrlov

 

 


 

Heimgang Seiner Eminenz des Hoechstgeweihten Metropoliten IRINEJ von WIEN und OESTERREICH

Der letzte Weg auf Erden (Bild von ot.NIKOLAJ Orlov)

Sterbegebete in der Hauskirche: v.l.n.r.: Pr. Prof.habil.Dr.Peter Plank, Erzbischof FEOFAN, Erzpr. Chrysostom, Pfarrer Erzpr. Nikolaj, Hieromonach Danail (Bild von ot.NIKOLAJ Orlov)

Gottesdienst v.l.n.r.: Protodiakon Viktor, Erzbischof FEOFAN (Bild von ot.NIKOLAJ Orlov)

Gottesdienst v.l.n.r.: Protodiakon Viktor, Bischof DIMITRIOS, Erzbischof FEOFAN, Pr. Prof.habil.Dr.Peter Plank (Bild von ot.NIKOLAJ Orlov)

Gottesdienst v.l.n.r.: Erzbischof FEOFAN, Pr. ..., Pfarrer Erzpr. Nikolaj (Bild von ot.NIKOLAJ Orlov)

Der letzte Weg auf Erden (Bild von ot.NIKOLAJ Orlov)




Metropolit KYRILL segnet die Glaeubigen in der Hl.Nikolaus Kathedrale in WIEN

S.E. des Metropoliten KYRILL von Smolensk und Kaliningrad, Vorsitzender des Aussenamtes des Moskauer Patriarchates in WIEN


Metropolit KYRILL, ot.NIKOLAJ Orlov, WIEN






Die WELT auf dem KREUZWEG
S.H. Patriarch ALEKSIJ II.
zu den globalen gesellschaftlichen Prozessen und neuen moralischer Herausforderungen an der Jahrtausendwende

         Die Jahrtausendwende veranlaßt die Menschen in der ganzen Welt über Geschicke ihrer Völker, über den Sinn der Geschichte, über die Stellung des Menschen und verschiedener menschlicher Gemeinschaften darin nachzudenken. Viele Ereignisse in den letzten Jahren haben alte moralische Probleme zugespitzt und neue ins Leben gerufen und waren der Grund für ungewohnte Fragen und Überlegungen.

         Wie schon vor vielen Jahrhunderten ist die Menschheit auch heute wegen des unterschiedlichen Veständnisses für Moral und Recht und wegen des Verhältnisses zwischen beiden Erscheiningen geteilt. Worin liegt die Grundlage von Moralnormen, von denen wir uns in Politik, Wirtschaft, im Privatleben, in zwischenmenschlichen, zwischennationalen und zwischenstaatlichen Beziehungen leiten lassen müssen? Warum werden die gleichen moralischen Gesetze von den Völkern verschiedenartig verstanden, verschiedenartig wahrgenommen und manchmal sogar mißbraucht? Und was ist jetzt endlich die Moral? Sind das nur menschliche Festlegungen, die von wechselnden Umständen abhängen, oder etwas mehr - ewige Gebote des unabänderlichen Gottes, die nicht veralten, auch wenn die Welt sie nicht mehr erfüllen wird?

         Das heute geltende Recht und die traditionellen moralischen Grundsätze können manchmal in gewissem Widerspruch stehen. Der Begriff der "Sünde" in der religösen Ethik ist mit dem Begriff des "Verbrechens" überhaupt nicht in der Art zu identifizieren, wie er von den sekulären Gesetzen gedeutet wird. Eine große Mehrheit von Handlungen, die vom Standpukt der uralten Moralnormen unbedingt zu verurteilen sind, werden laut der Gesetze in den meisten Ländern nicht bestraft. Welches Übel soll von Gesellschaft und Staat eingestellt werden und welches wiederum ist aus Achtung vor menschlicher Freiheit zu dulden? Was ist überhaupt das Kriterium "der Zulässigkeit" einer sündigen Äußernung für die Gesellschaft? In der heutigen Welt ist es angebracht, als ein solches Kriterium: z.B.: das Fehlen des augenscheinlichen Schadens für andere Menschen zu halten (in der Regel ist es ein Schaden durch physischen und materiellen Kategorien). Es ist aber nicht zu vergessen , daß es auch Werte gibt, sei es für Gläubige als auch für viele Nichtgläubige, die für sie unvergleichbar wichtiger sind, sogar wichtiger als das Menschenleben. Deshalb dehnt sich für sie das Kriterium der Unzulässigkeit weiter aus.

         Die gesetzgebenden Systeme unterscheiden sich sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene. Viele Rechtsprinzipien werden heute in Frage gestellt und stoßen zusammen. Es reicht, den sich zugespitzten Widerspruch zwischen dem Prinzip der Souveränität und der territorialen Integrität einerseits und anderenseits den Interessen der einzelnen Bürgergruppen andererseits zu erwähnen. Gerade dieser Zusammenstoß hat schon wiederholt zu massenhaften blutvergießenden Konflikten geführt. Jetzt entsteht die Gefahr einer neuen globalen Gegenüberstellung.

         In diesem ungelösten Fragenknäuel kann man zwei Probleme hervorheben. Das erste ist die Beziehung zwischen der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit, dem Frieden und der Wahrheit. Auf dem Schauplatz des internationalen Geschehens tritt immer öfter der Konflikt zwischen den Versöhunungsidealen und dem Streben hervor, eine gerechte Ordnung herzustellen. Diese Ordnung versucht alles einzuschränken, das diesen oder jenen Vorstellungen von Wahrheit und Unwahrheit nicht entspricht. Die Vorstellungen unterscheiden sich wie schon gesagt, stark von einander. Das zweite Problem erstreckt sich auf die Spaltung zwischen dem rein humanistischen Bewußtsein und dem religösen Bewußtsein. Das erstere hält die materielle Existenz des Individums für den höchsten Wert. Das religiöse Bewußtsein jedoch beharrt auf dem relativen Wert des irdischen Lebens und echtes Ziel besteht darin, die ewige Glückseligkeit zu erreichen und sich darauf vorzubereiten. Bei dem letzten Problem enstehet eine Frage über die Möglichkeit des historischen Progresses. Der Christ, der die gottbegeisterten Prophezeihungen vom apokalyptischen Ende der Geschichte nicht ignorieren kann, nimmt natürlich die Behauptungen von dem Fortschritt der Menschheit ohne Gottes Hilfe kritisch auf. Wenn es um die moraliscshe Einschätzung der Geschichte geht, ist es also nicht einfach, sie als Fortschritt oder als Rückschritt einzuschätzen.

         Man kann sagen, daß solche Betrachtungen wenig Gemeinsames mit der Realität der globalen politischen Prozessen von heute haben. Es scheint, daß gerade tiefe Unterschiede im Verständnis der Menschen und Völker für ihre historische Mission zu jenen ernsthaften Widersprüchen führen, die heute in der Welt geschehen. Die Situation um Kosovo herum, und die sich verstärkenden Auseinandersetzungen des Westens mit Rußland, mit islamischen Völkern, mit vielen Ländern der sogenanten "Dritten Welt", die mit großer Anstrengung nach einem eigenen Entwicklungsweg suchen, läßt all das von Gesetzmäßigkeit sprechen, deren Wurzeln viel tiefer liegen als geopolitische, militärische oder ökonomische Interessen.

         Der Sturz des totalitären Regimes in der Sowjetunion hat einen neuen Enthusiasmus der Ideologie des Fortschritts eingeflößt. Darunter versteht manim Allgemeinen, die Bedürfnisse einer autonomen Person maximal zu befriedigen. Die vorgegebene Ideologie zeigt sich im Konsumismus, der heute in den meisten Ländern der Welt von Propaganda der "Ideale" des Konsums, beispielweise durch Reklame, Ausbildung und politische Stereotypen aufgedrängt wird, und so jeden Versuch, etwas über ökonomischen Interessen oder den Lebenskomfort zu stellen, erdrücken. Aber der Konsumkult ist lediglich eine grobe Form des Kultes des weltlichen Progresses. In der letzten Zeit sind wir öfter durch die Verbreitung der Vorstellungen von einem irdischen Menschendasein betroffen, (dazu gehören kulturelle, intellektuelle und andere ähnliche Aspekte), wie vom absoluten Maßstab für Gute und Böse, dem höchsten Kriterium der Wahrheit und Gerechtigkeit. Die ideale Gesellschaft ist laut gegebenen Vorstellungen berufen, allen ihren Mitgliedern das Komfortleben im materiellen Sinn maximal zu garantieren sowie Ausbildung, Zugang zu den intellektuellen Ressourcen und abstrakte "geistig-kulturelle" Möglichkeiten zu geben. Die Persönlichkeit hat keine Einschränkung auf sich zu nehmen, ausgenommen ernste Forme von Angriffen auf andere Personen, die strafbar sind.

         Im gegebenen Wertsystem ist die Rolle der Gesellschaft zu einer einfachen Staatsunterstützung herabgewürdigt, d. h. dem Mechanismus, der die Einhaltung der "Spielregeln" in zwischenmenschlichen Beziehungen garantiert.

          Die Einführung der gesetzgebenden Normen und sich darbietende Möglichkeit, die Staaten und Gesellschaften zu ihrer Einhaltung zu zwingen, soll den"vollen Triumph" der rationalistischen Zivilisation aufzeigen, die nicht mehr Gott benötigt.

         Natürlich ist die Notwendigkeit, eines gewissen materiellem Lebensstandarts der Menschen nicht zu leugnen, damit auch die Wahrnehmung ihrer Rechte und der Freiheit garantiert sind. Die Sorge um einen guten Ernährungstzustand für sich und für andere, der durch den Stadt gewährleistete Schutz des Menschen gegen Gewalt und andere Angriffe seitens des Staates sowie die Schaffung von maximal günstigen Bedingungen für die ökonomische, politische, kulturelle, geistige Selbstverwirklichung gehört zu den würdigsten und moralisch rechtfertigten Aufgaben. Ob der Inhalt unseres Daseins damit sein Bewenden hat? Ob darin der Sinn der Existenz des Individuums und der Gesellschaft ist?

         Wir wollen nicht davon sprechen, daß das materielle Wohlergehen der ganzen Menhscheit in dem Umfang, wie es der für die "goldene Milliarde" der Bürger in den technologisch hoch entwickelten Ländern gerade zur Gewohntheit geworden ist, kaum verwirklicht werden kann. Denn das Erreichen des Wohlstandes wird im Widerspruch mit den realen ökologischen Ressourcen des Planeten stehen und außerdem wird es von ökonomischer Ausbeutung der meisten Bewohner auf der Erden begleitet, die für sehr schwere Arbeit einen miserablen Lohn erhalten. Die egoistischen Interessen des Menschen ins Zentrum des Weltalls zu stellen, ist nicht nur dem "siegenden " Konsumismus" sondern auch dem "besiegten" Marxismus eigen. Das löst natürlich den Widerstand der Menschen aus, deren Leben durch andere Werte bestimmt ist, die nicht in den Rahmen des rationalistischen Verständnisses des irdischen Daseins passen.

         Was hindert die Serben, sich mit dem Verlust der geistigen Unabhängigkeit abzufinden, sogar ihre alten Heiligen Stätten in Kosovo zu verlassen und nach einer Zeit ein ruhiges und sättiges Leben zu erhalten? Warum versuchen isalmische Völker auf ihrem Territorium eine für den Westen unbegreifbare Ordnung herzustellen und sich der ganzen Welt gegenüberzustellen? Diese Ordnung ergbit sich jedoch für sie natürlicherweise aus ihrer Religion und wird von ihnen als gesellschaftliche Norm gesehen. Warum wohl viele Menschen in den westlichen Ländern gegen moralischen Nihilismus protestieren und verzichten sich, aus eigener Tasche Propaganda für Übel, für Abtreibungen oder für Unterstützung der sogenanten sexuellen Minderheiten zu bezahlen? Worin liegt eigentlich der Grund, daß sich viele unsere Landsleute schon einige Jahre freundlich aber fest bemühen, dem Westen zu erklären: das Streben Rußlands zu "ändern", indem man es veranlaßt, fremde weltanschauliche und kulturelle Klischees aufzunehmen, und so unvermeidlich Abtrennung auslöst.

         Jedes Volk, jede Kultur, Religion und philosophisches System haben das Recht auf historische Selbstrealisierung. Das gegenwärtige System des Internationalen Rechtes gewährt ziemlich breit angelegte Bedingungen. Dennoch werden wir sehr oft Zeugen beim Versuchs, eine der existierenden Weltanschauungen für gewisse Universalnorm zu erklären und alle anderen als Abweichung von der Norm, die es zu überwinden oder in anderer Weise zu nivellieren ist. Dabei vergißt man jedoch, daß nur ein kleiner Bevölkerungsteil des Planeten real gesehen in der Regel der "Norm" folgt. Es ist deshalb angebracht, bei den meisten Völkern in Europa und in der Welt traditionelle Religionen und Bekenntnisse vorzuziehen, die von der Hauptbevölkerung des Landes unterstützt werden. In vielen Staaten wird der historischen Verbindung zwischen Volk und Religion, Kultur und Lebensweise mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichzeitig versucht man uns ständig zu überzeugen, daß radikales Verständnis die Norm ist, die über dem ethnischen und konfessionellen Staat steht. Jeder Versuch, nationale Selbstidentifizierung in Glauben, Ethos und Kultur festzustellen, ist ein Schritt zurück und Diskrimination der Minderheiten.

         Heute ist es auch angebracht vom absoluten, höchsten Wert zu sprechen. Gleichzeitig ist deutlich, daß viele Menschen bereit sind, sich für ihre heiligen Begriffe, Symbole und Vorstellungen aufzuopfern. Ein Versuch, die Priorität den rational verstandenen Interessen zu geben und über das geistige Dasein der Nation zu stellen, führt zu vielen Menschenopfern. Das Beispiel Kosovo zeigt anschaulich, daß die Absicht einer Gruppe von Bürgern den Wohlstand auf Kosten der Verletzung geistiger Prioritäten anderer Menschen zu schaffen, führte zu einer schrecklichen Tragödie. Die Möglichkeiten, eigene Heiligtümer zu verehren, bedeutet für die Serben mehr, als zeitweiliges irdisches Dasein. Wir rechtfertigen nicht die Repressalien gegen ganz friedliche Albaner in Kosovo. Es ist zu bemerken, daß dem serbischen Volk niemand das Recht auf gerechten Kampf für die Integrität eigenes Landes, für den Zugang zu Heiligen Stätten entzogen hat, auch wenn ein solcher Kampf eine gewalttätige Edrückung bewaffneter Separatisten ist. Aber das Wesen des Kosovo-Konflikts ist aber nicht nur im territorialen Besitz. Es sind zwei grundlegende weltanschauliche Prinzipien zusammengestossen: Priorität der physischer Existenz des Menschen und Priorität der geistigen Grundlage des Daseins. Die westlichen Teilnehmer des Konflikts haben keine ernste Bedeutung dem zweiten Faktor beigemessen. Die serbischen Handlungen werden durch geopolitischen Interessen des "Belgrader Regimes" erklärt. Gerade dieses Unverständnis hat zur heutigen Verwirrung im NATO-Lager geführt, sowie dazu, daß ursprünglich deklarierte Ziele, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, genau ins Gegenteil umgeschlagen sind. Etwas ähnliches passierte auch während der tragischen Ereignisse in Tschethschenien. Die Elite Rußlands konnte sich nicht vorstellen, daß weder militärische "Peitsche" noch ökonomisches "Zuckerbrot" das Volk nicht veranlassen konnten, sich auf eigene Identität, auf das Recht zu verzichten, um das Leben nach eigener Vorstellung von Gute und Böse aufzubauen.

         Ein überzogener Individuallismus, der den Wert kollektiver Daseinsformen - Völker, Nationen, religiöse Gemeinschaften-eher geringachtet, strebt auch danach, sich als mehr "vorangige" Richtung des gesellschaftlichen Denkens zu festigen. Aber dadurch ist die Enttäuschung sowohl im Westen als auch im Osten zu sehen. Sogar diejenigen, die gewohnt sind, an den Menschen in den Kathegorien der Einsamkeit angesichts Gottes, Natur, Gesellschaft und Geschichte zu denken, müssen feststellen, Hunderte Millionen Menschen sind sich dessen bewußt, daß das Leben der Person ohne enge Einheit mit anderen ärmer wird. Zur höchsten und würdigsten Form persönlicher Selbstverwirklichung gehört, sich selbst einzuschränken und in den Dienst am Nächsten - und so der gesamten menschlichen Gesellschaften zu stellen.

         Die Ideologie, die heute auf Herrschaft und Universalität in den internationalen Beziehungen Zuspruch erhebt, strebt auch danach, die Moralität in einen Teil des Privatlebens des Menschen zu verwandeln und ihren gesellschaftlichen Maßstab zu vermindern. Die Erscheinungen wie eheliche Untreue, Geschlechtsabneigungen, Pornographie, Gewaltspropagande, Drogen und Alkoholismus werden als Norm gesellschaftlichen Lebens erklärt, weil sie im Bereich der Verantwortung des einzelnen Menschen selbst sind und die Interesseb des physischen Wohlstandes andere Individuumen nicht betreffen. Wir wollen nicht von anschaulicher Beziehung dieser Erscheinungen mit vielen sozial-gefährlichen Erscheinungen sprechen: Kriminalität, Familienzusammenbruch, Geschlechtskrankheiten. Es ist ein sehr ernstes Problem, wenn erwähnte Läster im Widerspruch mit ewigen, moralsichen Normen stehen, die nach Meinung von vielen ( wenn auch nicht der Mehrheit) von oben festgelegt sind und deshalb die überzeugende Priorität gegenüber jeden menschlichen Gesetzen und Beschlüssen haben.

         Ob Laster und Tugend zum persönlichen Leben der Bürger gehören? Ob der ethische Bereich im Zusammenhang mit der hohen Ebene des gesellschaftlichen Konsens über die eine oder andere Norm der Moralität zum Bereich der Sorge von Völkern und somit auch des Staates geworden stehen muß? Ja, die tief religiöse Wurzel der Ethik und dadurch auch ihr onthologisch-kathegorischer Charakter werden heute überhaupt nicht von allen Menschen anerkannt. Aber die Natur des Menschen protestiert gewöhnlich gegen Extrimität des ethischen Nihilismus. Das bebeutet, daß demokratischen Gesellschaften natürlich die gesellschaftliche Moral in eigenen Bestimmungen widerspiegeln müssen. Dazu kann die Verneinung des festen Charakters und des übermenschlichen Wesens der ewigen moralischen Gesetze zur Verschwommenheit axiomatischer Ethiknorm schließlich führen. Was für eine Diskussion über die Legalisierung Pedophilie ist, wo die Gegner des Lasters immer wieder mit großer Mühe die traditionelle Ethik mit Hilfe rein humanistischer, rationaler, juristischer Argumente zu verteidigen versuchen.

         Mit wachsenden Auseinandersetzungen wird heute das Thema der Einmischung der Wissenschaft und Technologie in die Natur von Pflanzen, Tieren und Menschen besprochen. Ja, die Gentechnologie kann den Menschen mehr Lebensmittel geben, einige Krankheiten vermeiden, das Leben des Individuums verlängern. Es zeichnet sich ab, daß einige Schwierigkeiten praktischer Charakters früher oder später überwunden werden können. Mit der Zeit wird die Angst wegen des Schadens genetischer Technologien für physische Existenz des Menschen verringert. Ob es zu vergessen ist, daß die Arbeit um die Nahrung willen, die Leiden und sogar der Tod nicht unbedingt das böse Los ist? Warum halten wir irdisches Dasein für absolutes Wohl, um wegen dessen willen wir meinten, das Recht zu haben, die Welt Gottes nach eigener Betrachtung zu ändern?

         Wir haben nur einige der Fragen genannt, die heute akut vor der Menschheit am Vorabend grosser Ablösung von historischen Meilensteinen stehen. In einem Sinn können sie als neue gehalten werden. Aber ihr Wesen ist vielen Völkern und Generationen schon seit dem Aufbau des babylonischen Turmes gut bekannt. Die Menschen bemühen sich wiederholt zu beginnen, ohne Gott zu leben und stellten ihren Verstand über den Willen des Schöpfers. Genauso ist es heute. Im Hintergrund vieler Konflikte mit ökonomischem, politischem und sogar militärischem Charakter steht und (wird bleiben) das Fehlen der Verständigung zwischen den Trägern rationaler und religiöser Ansichten über Welt und Menschen, Gang und Sinn irdischer Geschichte, sowie der Ansicht über die Realität, die weiter und höcher als die Geschichte ist. Der enstehende dramatische Bruch übt unmittelbar der Einfluß auf die Verständigung der Beziehung zwischen Gerechtigkeit und Frieden aus. Wenn die Menschen ganz verschiedener Ansicht über Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit und Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit sind, ist es eine schwierige Arbeit, Feindschaft zu überwinden und Frieden zu stiften.

         Ob es einen Ausweg in dieser Situation gibt? Ob es möglich ist, rationalistische Weltanschauung und spirituelle Bestrebungen der Menschen in Einklang zu bringen, die den menschlichen Verstand nicht für einziges Kriterium der Wahrheit halten? Wir sind der Meinung, daß es nicht nur realistisch sondern auch notwendig ist.

          Als Grundlage zur Versöhung haben die sich geistig orientierten Menschen wenigstens das Recht, damit zu rechnen, daß sich rationalistischer "Mensch-Gott" auf Wahrheitsmonopolie, auf das Streben, das Leben in Gesellschaft und im Staat sowie internationale Beziehungen nur auf der Basis "objektiver" Werte von materiellen Ordnung aufzubauen, verzichtet. Es lohnt nicht zu denken, daß die Werte, die sich von Einstellungen des "postchristlichen" Humanismus unterscheiden, apriori regressiv sind und deshalb nicht würdig sind, geachtet zu werden. Gleichzeitig steht den religiösen Kräften bevor, deutlicher als heute jene verschwommene Grenze zu spüren. Diese unterteilt das Recht des Menschen einerseits, frei den eigenen Lebensweg zu bestimmen, indem der Mensch die von Gott gegeben Wahlfreiheit zwischen Gute und Böse besitzt, und andererseits das Recht in Gesellschaft, Nation und Menschheitsfamilie vielfältig und aktiv zu unterstützen, was die natürliche und religöse Moral für Wohl hat. Gleichzeitig werden keine Erscheinungen unterstützt, die laut Tradition als destruktif gehalten werden. Gerade ein solcher Weg kann von einer großen Teil der Weltbevölkerung bewillgt werden und die Harmonie in globale gesellschaftliche Prozesse zurückgeben.

         Andere Methoden für Problemlösung, die heute in der Welt praktiziert sind, werden als perspektivlos betrachtet. Wir meinen vor allem den Versuch, die Christenheit ebenso wie andere Religionen in rationalistischer Weltanschauung zu verwischen. Einige Jahrzehnte bemühen sich Glaubensgemeinden in vielen Ländern notgedrungen, sich der Wirklichkeit eines gottlosen Milleus anzupassen. Eine solche Anpassung stimmt nicht mit der Einhaltung des Willens Gottes überein, sondern vielmehr mit Argumenten einer rein menschlichen Orientierung, deren Wurzel außer religiöser Wahrheit sind. Das Ergebniss ist die Verringerung der Religiösität und die Stärkung radikal pseudogeistiger Bewegungen, die sich bemühen, eine Antwort auf die Sekulärisierung in den agressiven Protestformen zu finden.

         Wir sind überzeugt, daß das Streben nach einem gerechten Frieden auf der Existenz religiöser und sekulärer Ansichten beruhen, sowohl in der Entwicklung von Staat und Gesellschaft als auch von Moral und ihrer sozialen Verwirklichung. Es ist unmöglich, akute Probleme der Gegenwart lediglich auf der Grundlage rationalistischer Sicht auf die Welt zu lösen, indem man sich bemüht, die einzige gesellschaftlich-bedeutende Macht zu sein. Der menschliche Verstand kann nur die geistig-moralische Krise der Zivilisation zu vertiefen. Man muß humanistisches und theozentrisches Weltbild als gleichwertig akzeptieren und beiden das gleiche Recht zugestehen, den Gang der Welt zu beienflussen. Nur so werden die Bedingungen geschaffen, um durch Dialog und Zustimmung viele heutige Trennungen zu überwinden, die viel Leiden gestiftet haben sowohl einzelnen Ländern als auch in den Beziehungen zwischen den Völkern. Es ist zu wünschen, daß die Zeit kommt, in der sich nicht nur in den Herzen von Gläubigen, sondern auch auf dem globalen gesellschaftlichen Schauplatz " Güte und Treue einander begegnen, Grechtigkeit und Frieden sich küssen" (Ps. 85, 11)

 

+ ALEXIJ

PATRIARCH VON MOSKAU UND GANZ RUSSLAND







DIE UMSTAENDE EINER NEUEN ZEIT
S.E. Metropolit KYRILL von Smolensk und Kaliningrad
Vorsitzender des Aussenamtes des Moskauer Patriarchates:

Liberalismus, Traditionalismus und moralische Werte im sich vereinigenden Europa

Dringe in die Umstände der Zeit ein, - spricht der Hieromärtyrer Ignatios der Gottesträger. Dieses Vermächtnis ist besonders heute aktuell; am Vorabend des Anfangs des dritten Jahrtausends.
Welche Probleme wirft vor uns das fortgehende Jahrhundert auf?
Worin liegt die Herausforderung unserer Epoche?

Das zu Ende gehende Jahrhundert rollt akute Probleme auf, von deren erfolgreicher Lösung das weitere Schicksal der Weltgemeinschaft abhängt. Die grundlegende Herausforderung der Epoche, in der wir alle wohnen, besteht nach meiner tiefen Überzeugung in der Notwendigkeit, ein zivilisiertes Modell der menschlichen Existenz im XXI. Jahrhundert auszuarbeiten. Dieses Modell würde eine möglichst weitgehende Übereinstimmung der dramatisch entgegengesetzten Imperative von Neoliberalismus und Traditionalismus voraussetzen. Vor West und Ost steht die überaus schwierige aber nicht hoffnungslose Aufgabe, gemeinsam das Gleichgewicht zwischen einerseits dem Fortschrit im Bereich der Einhaltung der Rechte von Personen und Minderheiten und andererseits der Erhaltung der national-kulturellen und religiösen Identität von einzelnen Völkern zu suchen.

         Überall spürt man besonders scharf das Bedürfniss nach einer adäquaten und solidarischen Antwort auf diese zivilisatorische Herausforderung unserer Zeit, obwohl dieses Bedürfniss in den entsprechenden soziopolitischen und kultorologischen Kategorien noch nicht formuliert ist. Kein deutlicher -für viele aber dennoch real existierender- Hintergrund militärisch-politischer, kulturell-religiöser, nationaler und anderer Gegenwirkungen, deren Zeugen wir in der postkommunistischen Epoche sind, besteht gerade im Antagonismus der konservativen Rückbesinnung und des traditionalistischen Ansatzes der forcierten, wenn auch nicht gewaltsamen Ausbreitung neoliberaler Werte. Darin liegt der innere Inhalt des ideelen Dramas unserer Zeit.

         Das XX. Jahrhundert war ein historischer Schauplatz, wo unversöhnliche Rivalen in einer harten Bekämpfung paarweise einander abgelöst haben: Monarchie und Republik; Faschismus und Kommunismus, Totalitarismus und Demokratie. Zwei Weltkriege und ein "Kalter Krieg" ist das bittere Ergebnis ideologischer Kompromißlosigkeit unseres ausgehenden Jahrhunderts. In diesem Sinne wird jene Euphorie bei der Nachricht von der Umgestaltung im sowjetischen System ganz natürlich und verständlich. Sie ergriff die ganze Welt, die durch Balancieren von zwei Großmächten am Rande der atomaren Apokalypse ermüdet war.

         Die totale Herrschaft eines ideologisierten Bewußseins, das die Ausgeburt des Stolzes und der Sophisterei des menschlichen Verstandes ist, zeugte immer wieder vom eigenen Elend und brachte den Völkern ungezählte Leiden. Heute ist dieses Bewußsein stark erschüttert. Die Konkurrenz der Ideologien wird durch einen neuen und schwierig heilbaren Wettstreit ersetzt: Globalismus und Universalismus als Ausdruck des Prinzips des Allgemein Gültigen gegen Konservatismus und Traditionalismus als Ausdruck des Prinzips des Einzelnen und Abgesonderten. Deshalb bleibt auch heute - wie in der biblischen Zeit - als Grundstein der menschlichen Gemeinschaft das Prinzip, das von spanischen Sozialdenker, Jose Ortega y Gasset, formuliert worden war: " Die Zivilisation ist vor allem der Wille zur Koexistenz". Aber der Wille zur Koexistenz setzt als verbindliche Bedingung voraus, das Recht des Anderen auf sein Leben zu erkennen. Denn der Abglanz der Göttlichen Wahrheit trägt in sich das Konzept der Rechte und Freiheiten des Menschen sowie das Prinzip der national-kulturellen Identität, wenden wir uns an die Geschichte, um die Genesis dieses aktuell gewordenen Gegensatzes zu verfolgen. Aber vor allem wählen wir den Begriff des zivilisierten Standards. So werden wir sowohl den liberalen als auch den traditionalistischen weltanschaulichen und axiologischen Komplex beschreiben.

Es ist bekannt, daß die liberale Doktrin im XVIII. Jahrhundert, Ende der Aufklärung, in Europa entstand. Im darauffolgenden Jahrhundert wurde sie stark und festigte sich. Die Revolutionsbewegungen, die gegen die damalige Staatsordnung in den Ländern von Westeuropa und in Rußland protestierten, haben nicht selten die Idee der allgemeinem Befreiung des Individuums ohne sozialen, politischen, nationalen, religiösen, rechtlichen und anderen Einschränkungen benutzt. Die Anhänger dieser Richtung postulierten als Fundamentalproblem dieser Epoche die verfügbare Unfreiheit des Individuums. Dieses Individuum war versklavt und durch Strukturen und staatliche Institutionen, soziale Ordnung, herrschende Moral, Vorurteile und Bedingheiten unterdrückt. Folglich lohnte es sich, die Person von Unterdrückung der Außenkräfte zu befreien, weil der Mensch "laut seiner Bestimmung" ein absoluter und endlicher Wert sei und sein Wohl - ein Kriterium der Gerechtigkeit gesellschaftlicher Ordnung. Am Vorabend der russischen Revolution drückte der Klassiker der proletarischen Literatur, Maxim Gorky, dieses Mythologem des liberalen Bewußseins in einer konzertrierten Form aus. Er hat aus dem Munde seiner handelnden Person verkündigt: " Der Mensch - das klingt stolz!" In der UdSSR wurden diese Wörter auf dem Banner des antireligiösen Kampfes geschrieben. In einem atheistischen Staat durfte es nicht um einem anderen Begriff gehen, dem eigene Gedanke und Werke zu widmen wären. Nicht zufällig verbunden überzeugend noch Holbach, Helvetius, Diderot und andere Philosophen der Aufklärung den Humanismus mit Materialismus und Atheismus.

Der gottähnliche Mensch wurde in den Kern des anthropozentrischen Weltalls als Maß aller Dinge hingestellt. Nicht einfach als Mensch , sondern als der gefallene Mensch, versunken in der Sünde. Nach der Kirchenlehre ist der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen, aber die Sünde hat die Schönheit des Bildes verzerrt ( hl.Basilios der Grosse). Diese Vorstellung von der verzerrten Menschennatur feht ganz in der gegenwärtigen westlichen Mentalität. Darin triumphiert ein Komplex von Ideen, die von heidnischer Herkunft sind. Diese Ideen begannen in der westeuropäischen Kultur in der Renaissance sich zu festigen. Wenn das Konzept der Anthropozentrietät des Weltalls gerade durch die Autorität der Renaissance geweiht wurde, wird das Individuum als Sammelpunkt von Dasein und Sozium gemeint. Damit einher, dass sich zusammen mit dem Rückkehr zu einer bestimmten Vorstellung der Kultur der Antike in der Renassaince auch die spirituelle Involution des europäischen gesellschaftlichen Gedankens von den christlichen Werten in regressive heidnische Ethik und heidnische Weltanschauung zurückwendete. Beim Hinweis auf den Ausdruck, womit Arnold Toynbee auf den Seiten seines fundamentalen Werkes "Erreichen der Geschichte" wiederholt operiert, können wir mit gutem Grund über den Triumph " des Götzendienstes in die noch lasterhaftere Form der Anbetung des Menschen als sich selbst" sprechen.

Was das westliche Christentum betrifft, hat es diesen Prozess überhaupt nicht verurteilt. Nachdem es das Postulat über menschliche Freiheit als höchsten Wert seines irdischen Daseins als sozial-kulturelle Gegebenheit angenommen haben, hat es den Bund von neoheidnischer Doktrin mit christlicher Ethik geweiht. So wurde im Laufe der Gestaltung des liberalen Standards christliche (durch den Katholizismus und Protestantismus bestimmte) und heidnische Anfänge als übereinstimmend definiert. Den bestimmten Einfluß hat hier auch ein ziemlich einflußreicher theologischer jüdischer Gedanke in den westeuropäischen Institutionen ausgeübt, der nach Holland und in angrenzende Länder (Maimonides, Crescas, Ibn Esra) durch spanische Kultur und jüdische Migration gekommen war. Es ist kein Wunder, daß die Ideen solcher Freidenker, Atheisten und Pantheisten, die sich vom traditionellen Judaismus abgespaltet haben, wie Baruch Spinosa und zum Teil Uriel Acosta durch liberale Weltanschauung im Laufe ihrer Formierung angewandt wurden. Gegen Ende des XIX. Jahrhundert hat sich tatsächlich der ganze Komplex von Begriffen gestaltet, die den liberalen Standart der Existenz beschreiben. Der von der Großen Französischen Revolution ertsmal in der " Deklaration der Rechte des Menschen und des Bürgers" konstituirte Liberale Standard wurde schließlich in der "Gemeinsamen Deklaration der Menschenrechte " vom 1948 verankert.

Es ist wirklich zu bedauern, daß Rußland erst jetzt die Möglichkeit erhielt, sich an der Diskussion über das Verhältnis von liberalen und traditionellen Anfängen zu beteiligen. Ja, die UdSSR hat einst aktiv an der Ausarbeitung der gegenwärtigen Version des liberalen Standard zwischenstaatlicher Beziehungen und Menschenrechte teilgenommen. Sie hat das wegen pragmatischen Erwägungen getan: erstens, um die Beschuldigung des Westens, totalitäre Methoden von Kontrolle und Verwaltung angewandt zu haben, zu desavouieren, und zweitens, dieses zweischneidige Propagandaschwert bei der ersten Möglichkeit auf ihre ideologischen Gegner zu richten. Damals hat man gedacht, daß alle Verletzungen der Menschenrechte der Welt für immer hinter dem eisernen Vorhang verschwiegen werden, und man es sich erlauben könne, einen gewinnbringenden Kompromiß mit dem Westen einzugehen, um die Sympathien für den Sozialismus zu verstärken. Man hat gehofft, etwas im eigenen inneren Leben real zu verändern. Heute, nach dem Zusammenbruch der UdSSR, ist von zwei Supermächten auf dem Schauplatz des internationalen Geschehens nur eine geblieben. Diese ererbte parodoxerweise nicht nur das ehemalige Sowjetreich, sondern auch die Politik des Doppelstandards den Menschenrechten gegenüber. Wie kann man erklären, daß das Problem von Kosovo der Anlaß zur Agression gegen Jugoslawien war und das gleiche Problem von Kurdistan als Beweggrund zur Druckausübung in bezug auf die Türkei überhaupt nicht betrachtet wird?

Es muß festgestellt werden, dass die orthodoxe geistig-kulturelle Tradition leider aus ideologischen und politischen Gründen von der sowjetischen Diplomatie überhaupt nicht vertreten wurde, als die gegenwärtigen Standards der zwischenstaatlichen Beziehungen und Menschenrechte ausgearbeitet wurden. Soweit ich es beurteilen kann, wurde sie auch von Diplomaten anderer Länder des Ostens nicht genügend aufgezeigt. Mit andern Worten kann man ganz bestimmt behaupten: die gegenwärtigen internationalen Standards sind ihrem Wesen nach außerordentlich westlich und liberalistisch. Dieser Umstand müsste nicht von besonderer Besorgnis sein, hätte es sich um den außenpolitischen Bereich gehandelt, d.h. um zwischenstaatliche Beziehungen, wo dieser Standard sich erfolgreich bewährt hat. Wenn sich die Gültigkeit nur auf den Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen erstrecken würde, wäre das eine Absage an die universelle Natur des liberalen Standards? Es ist ganz deutlich, was passiert wäre wenn an der Stelle dieses universellen Standards der nationale Standard wäre, der in vergangenen Zeiten wiederholt Kriege heraufbeschwört und legitimisiert hat. Wäre diese Ersetzung nicht passiert, würde das ganze Weltsystem unkontrolliert zerfallen, denn jeder von diesen Standards - sei es der zu zwischenstaatlichen Beziehungen den Grund gelegte "vachchabitische", "chinesische", "afrikanische", "katholische", "japanische", "hinduistische" und so weiter- würde von den Trägern anderer nationalen, kulturellen und religiösen Ansichten abgelehnt. Der Versuch, zwischenstaatliche Beziehungen anzubahnen und dabei gewisse gemeinsame Prinzipien zu ignorieren, würde einer gemeinsamen Katastrophe gleichkommen. In einer solchen Katastrophe bleibt keinen Platz für Freude, wenn auch einer dieser Standards siegt, und sei es der eigene.

Folglich besteht das Wesen des Problems nicht darin, daß der auf der Ebene internationaler Organisationen formulierte liberale Standard heute der internationalen Politik zugrunde liegt, sondern darin, daß dieser Standard auch von manchen als der notwendige für die Gestaltung des inneren Lebens von Länder und Völker angesehen wird. Vor allem wenn jene Staaten eingeschlossen werden, deren geistige und religiöse Tradition tatsächlich in der Gestaltung dieses Standards nicht vertreten ist.

In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, mehr über die moralischen Werte des sich vereinigenden Europas zu sagen. Es ist offensichtlich, daß diese Werte auch auf der Basis des westlichen Liberalismus standardisiert sind. Solange die Grenzen des vereinigten Europas mit den Grenzen Westeuropas zusammenfielen, konnte man das aufgezeigte Problem als "innere" Sache des Westens betrachten, als seine eigene zivilisatorische Auswahl. Die Verantwortung für diese Auswahl trugen in pastoraler und religiöser Hinsicht die westlichen Kirchen. Heute dehnen sich die Grenzen des vereinigten Europas nach Osten aus und es ist sehr wahrscheinlich, daß in der nächsten Zukunft millionenstarke Länder mit orthodoxer Bevölkerung zu Europa gehören werden. Was wird es für diese Länder bedeuten, das Leben mit ihrer geistigen, kulturellen und religiösen Identität entsprechend den für sie fremden ethischen und wertmäßigen Standards zu bewahren? Wenn Europa und vielleicht die ganze Welt auf der Grundlage einer einseitigen kulturell-zivilisatorischen Form unifiziert sein werden, wird es wahrscheinlich leichter sein, sie zu leiten. Aber die Schönheit der Vielheit sowie des menschlichen Glücks wird dort sicher nicht zunehmen. Hinzu ist es heute ganz klar, daß die konfliktlose Expansion des Liberalismus, besonders in jenen Bereichen des gesellschaftlichen Daseins, unmöglich ist, die sehr fest ihre Werte beibehalten, anerzogen im Sinne der nationalen geistig-kulturellen Tradition. Im Orient ist diese Erscheinung ziemlich offenbar, im Westen - nicht so deutlich, obwohl sie da und dort real anwesend ist.

Die Geschichte der Annahme des neuen russischen "Gesetzes über die Gewissensfreiheit und religiöse Gemeinschaften " ist ein anschauliches Beispiel. Damals wurde ein beispiellose politische Druck auf Rußland ausgeübt. Präsident Clinton und Kanzler Kohl wendeten sich an den Präsidenten Eltsin mit Protestbotschaften, der Papst von Rom forderte, daß der Kreml das neue Gesetz über die Gewissensfreiheit blockiert. Die amerikanischen Kongreßleute bedrohten Rußland mit wirtschaftlichen Sanktionen, wenn das Gesetzt angenommen wird. Was ist geschehen? Warum hat dieses Problem, - ein innerrussisches Problem wie kein anderes- solche negativen, scharfen und übereinstimmenden Reaktionen des Westens ausgelöst ? Der Grund ist ganz einfach: unser Gesetz über Gewissensfreiheit wurde als ein solches eingeschätzt, das dem liberalen Standard im Bereich von religiösen Menschenrechten nicht entspricht. An diesem Auftritt gegen die innere Gesetzgebung der souveränen Macht haben nur jene Länder nicht teilgenommen, wo die Kirche - im Unterschied zu Rußland - den staatlichen Status hat oder wo die formelle Registrierung exotischer Sekten, die der heimischen Kulturtradition fremd sind, von mehr Bedingungen als bei uns abhängig sind. Damals hat man von Rußland im Grunde genommen in ultimativer Form gefordert, die nationale Gesetzgebung über die Gewissensfreiheit in Einklang mit den internationalen, tatsächlich mit westlichen liberalen Standards zu bringen.

Die ähnlichen Kollisionen, die die Unvollkommenheit des liberalen Standards aufdecken und die Möglichkeit, mit ihm für politische Zwecke zu manipilieren, sind sehr kennzeichnend. Mit der Zeit werden sie immer mehr vor sich gehen, wenn man schon heute keine ernste Diskussion über die Beziehung zwischen des Liberalismus und Traditionalismus bei der Gestaltung von lebensfähigen Standards beginnt, die berufen sind, auf die Herausforderungen nicht nur europäischer, sondern auch weltweiter Integration zu antworten. Hieraus ergibt sich, daß in keiner Weise der liberalste Standard aus allen möglichen im Verhältnis zu Freiheit und Menschenrechte auf die Rolle eines allgemein anerkannten und echt universellen Standards Anspruch erheben kann. Es kann ein solcher sein, der beim Postulieren des Verzeichnisses von gewissen allgemeinverbindlichen Prinzipien organisch und ohne Widerspruch die Vereinbarkeit mit national-kulturellen und religiösen Wertorientierungen der Länder vorausgesetzt hätte, die ihn angenommen haben. Die moralische Pflicht sowohl des postkummunistischen Rußlands als auch anderer Länder mit der geistig kulturellen Tradition der Orthodoxie muß heute so gestaltet werden, um eigene Vision des Problems der Weltgemeinschaft vorzulegen und sie zur Erneuerung der Diskussion in den veränderten historischen Umständen aufzufordern. Es steht eine große und schwierige Arbeit bevor, um eigene Position angesichts der Weltgesellschaft in der UNO und in anderen internationalen Organisationen zu formulieren und sich dafür einzusetzen. Die Bemühungen Orthodoxer Kirchen können hier eine unschätzbare Rolle vor allem in Rahmen des Dialogs mit anderen Kirchen, Denominationen und Religionen spielen. In diesem Zusammenhang erlauben Sie einige Worte über Ökumenismus zu sagen. Ich bin tief überzeugt, daß der Grund der Krise des gegenwärtigen Ökumenismus in vieler Hinsicht verbunden ist mit seiner Unfähigkeit, die Fundamentalbedeutung der Apostolischen Tradition als Norm des Glaubens zu verstehen. Diese Norm zieht sich wie ein goldener Faden durch die Weltgeschichte und verbindet das Apostolische Jahrhundert mit unserer Zeit. Sie bestimmt auch erschöpfend die Wege des Lebens und der Rettung des Christen. Die Bewahrung und die Bestätigung der unbeschädigten Norm ist die Mission des Glaubens der Orthodoxie in der Welt, denn der Verzicht auf die Tradition in der Wirklichkeit automatische Anerkennung bedeutet, daß dem Menschen alles erlaubt ist. Das Einverständnis einiger christlichen Denominationen mit der Zulässigkeit der Frauenordination oder der Segnung der homosexuellen Ehen ist im Grunde genommen nichts anderes als praktische Verwirklichung des liberalen Standards der Menschenrechte und einer grenzenlosen religiösen Freiheit. Das ist einer der vielen Fälle wo die apostolische Norm des Glaubens konsequent und zielgerichtet aus dem Leben der gegenwärtigen Gesellschaft verdrängt und durch den liberalen Standard ersetzt wird.

Die Tragödie des gegenwärtigen Protestantismus liegt in der Akzeptanz dieser Ersetzung christlicher Werte und in ihrer Mitbeteiligung an diesen Tendenzen . Das führt dazu das nationale Bewußsein zu verlieren und sich mit dem System der sekulären Welt zu vermischen. Gerade in der ökumenischen Bewegung, und vor allem im Weltkirchenrat, ist diese Gefahr für die Orthodoxen ganz offensichtlich geworden. Indem die Orthodoxen gegen die Frauenordination und Anerkennung der homosexuellen Ehen protestieren, protestieren sie gegen die Prinzipien selbst oder gewissen Prioritäten des liberalen Standards (der ja wie ausgeführt im Wesentlichen auf nicht-christlichen Wurzeln beruht). Gegen die Überordnung dieses Standards über die Normen der Tradition der Bibel. In der Krise des Ökumenismus zeigte sich das Streben der protestantischen Mehrheit, die liberalen Prinzipien zu verbindlichen Grund-Prinzipien zu erklären und dadurch die ökumenische Ethik und Praxis bestimmen zu lassen bei gleichzeitiger Unempfindlichkeit für das Thema der Tradition. Das hat dazu geführt, daß Orthodoxe und Protestante ungeachtet gewisser Erfolge beim Erreichen der Glaubenskonsense in neue Trennungen geraten sind. Eine "Absolutisation" liberaler Standards durch die protestantische Theologie war die Ursache für diese Teilungen.

Aber diese ernsthaften Differenzen und Widersprüche dürfen nicht als Grund herangezogen werden, um den Dialog abzubrechen, oder als Grund für religösen Kampf gegen den Westen. Im Gegenteil hat die Russische Orthodoxe Kirche die Frage über die Krise des gegenwärtigen Ökumenismus öffentlich und im Sinne brüderlicher Aufrichtigkeit gestellt. Sie sieht in der Fortsetzung des zwischenchristlichen Dialogs die Möglichkeit, für die getrennte Christenheit die grundsätzliche Bedeutung der Norm des Glaubens das Zeugnis abzulegen, der in der Apostolischen Tradition erschienen wurde. In dieser Hinsicht kann der Dialog mit Römisch-Katholischen Kirche erfolgreich sein, die die Tradition als Norm des Glaubens anerkennt

Die monotheistischen Religionen sind treu der Idee der Richtigkeit eigener religiösen Identität und verfechten hart die Rechte ihrer Gläubigen, wovon entsprechende Artikel der Gesetzgebung von Israel und moslemischen Länder ausdrucksvoll zeugen. Sie können auch als Verbundete der Orthodoxen im Dialog mit denen auftreten, wer den Wert der Tradition bezweifelt. Die unterschiedlichen national-kulturellen Standards sind nach dem Wesen - so Karl Popper- "keine Feinde eines offenen Gesellschaft, wie man manchmal sie vorzustellen versucht; aber im Gegenteil sind sie fähig, ein wirksames Faktor ihrer Stabilität und Lebensfähigkeit zu sein.

Wir sind ständig vor das Dilemma gestellt: entweder die Orthodoxie "sich ändert" oder durch "Weltgemeinschaft" abgelehnt wird, unter derer Pseudonym sehr oft eine der vielen existierenden heute Kulturen - die westliche, genauer gesagt, die liberale auftritt. Sie wird beharrlich als die höchstprogressive", "humanistische", "moderne" befestigt. Gleichzeitig werden die Orthodoxie und nicht selten andere monotheistische Religionen dem liberalen anthropozentrischen Wertsystem entgegengesetzt, erklärt für Norm für Individuen und menschliche Gemeinschaften. Die Kirchen und religiöse Gemeinschaften sind auf positive wie offensichtlich negative Aspekte des sich heute vollziehenden Prozesses der Globalisierung entsprechend zu reagieren. Wir möchten andere verstehen, aber wir wollen auch gehört und verstanden werden sein.

Indem wir aus der theozentrischen spirituellen Tradition stammen, die den anthropozentrischen Humanismus als fremdartige Sicht der Welt erkennt, sind wir zwar bereit, diese zu achten, aber wir können sie nie als einen absoluten und bedingungslos positiven Wert akzeptieren. Wir gehen auch davon aus, daß diese Standards direkt oder indirekt zur Zerstörung der national-kulturellen und religiösen Indentiät der Völker beitragen und unvermeidlich zur Verkümmerung der Weltfülle Gottes, ihrer Unifizierung und schließlich zu ihrem Untergang führen.

Europa mit seinen Traditionen der kulturellen Vielfältigkeit, Tolerenz und Offenheit könnte einen entscheidenden Beitrag zum Prozeß der globalen Harmonisierung von religiösen, kulturellen und soziopolitischen Traditionen beitragen. Die Christen sollen hier eine wichtige Rolle spielen. Ich glaube, daß wir, alle mit gemeinsamen Bemühungen die Grundlagen für eine echte vielfältige (vielpolare) Gemeinschaft mit den Standards schaffen können, die die Freiheit- und Menschenrechte sichern und die in geistig-kulturellen und religiösen Traditionen gewurzelten Werte nicht zerstören sondern bewahren würden. Denn nur solche Weltgestaltung ist fähig, eine reale Alternative zu Verdächtigungen, Feindschaft und Faustrecht in den Beziehungen zwischen den Völkern zu werden.

"... Und leben und nicht sterben, wir und du und unsere Kinder" (1.Mose 43, 8).


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Russische Orthodoxe
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Wien

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Letzte Aenderung:
15.02.2000