Die
Große Zeit
der
Vorbereitung
auf
die
AUFERSTEHUNG
Die Große Fastenzeit umfasst die Vierzig
Tage, zwei Feste – den Lazarus-Samstag und den Palmsonntag – und die Karwoche.
Insgesamt dauert sie 48 Tage.
Sie heißt Große Fastenzeit, nicht nur wegen ihrer Länge (sie ist länger als
alle anderen Fastenzeiten), sondern auch wegen der großen Bedeutung dieser
Fastenzeit im religiösen Leben des Christen.
Außer den sieben Wochen der Fastenzeit selbst sind durch das Typikon noch
drei Vorbereitungswochen auf die Fastenzeit vorgeschrieben.
Diese Vorfastenzeit beginnt mit dem Sonntag des Zöllners und Pharisäers.
Vom Beginn der dritten Woche der Vorfastenzeit bis zum Ende der Fastenzeit
wird kein Fleisch gegessen; Fleisch gibt es erst wieder auf dem Festtagstisch
zu Ostern.
Diese dritte Woche der Vorfastenzeit heißt auch Käse- oder Butterwoche (masleniza), weil die Hauptspeisen in dieser Woche
Milchprodukte, Fisch, Eier und Käse sind, deren Genuss in der anschließenden
Großen Fastenzeit dann ebenfalls verboten ist.
Drei Wochen vor der Großen Fastenzeit, ab dem Sonntag, an dem bei der
Liturgie das Evangelium vom Zöllner und Pharisäer gelesen wird, beginnt man
im Gottesdienst das Fastentriodion (ein Buch für
gottesdienstlichen Texte dieser Zeit) zu verwenden. Eben dieses Buch bestimmt
die Besonderheiten des Gottesdienstes in der Großen Fastenzeit.
Am Vorabend des Sonntags, der den Namen “Sonntag des Zöllners und Pharisäers”
trägt, wird während der Nachtwache ein besonderes Bußgebet gesungen: “Öffne
mir die Tore der Umkehr...”
Damit beginnt die Vorfastenzeit.
Dieser Gesang wird an allen Samstagen in der Nachtwache wiederholt, bis zum
fünften Samstag der Fastenzeit einschließlich.
Während der Woche des Zöllners und Pharisäers gibt es kein Fasten am Mittwoch
und Freitag, um es nicht dem Pharisäer gleich zu tun, der sich seiner
Frömmigkeit rühmte.
Mit dem “Sonntag des verlorenen Sohnes” beginnt die zweite Woche der
Vorfastenzeit.
Bei der Liturgie wird das Evangelium vom Gleichnis vom verlorenen Sohn
gelesen.
Am Vorabend erklingt ein zweiter Bußgesang: “An den Fluessen
Babylons...”.
Mit dem “Sonntag des Jüngsten Gerichts” beginnt die dritte Woche der
Vorfastenzeit.
Am Sonntag wird in der Liturgie das Evangelium vom Jüngsten Gericht gelesen.
Dieser Sonntag heißt auch “Sonntag des Fleischverzichtes”, denn es ist der
letzte Tag, an dem Fleisch gegessen wird.
Vom darauf folgenden Montag bis Ostern darf man kein Fleisch mehr essen.
Am Samstag davor wird aller Verstorbenen gedacht.
Die auf diesen Sonntag folgende Woche heißt “Butterwoche”.
Am “Sonntag der Vertreibung des Adam” auch “Sonntag des Verzeihens” oder
“Sonntag des Käseverzichtes” genannt, wird aus dem Evangelium die Stelle über
die Verzeihung der Sünden und über das Fasten gelesen. Die Vertreibung Adams
aus dem Paradies wird in vielen gottesdienstlichen Texten in Erinnerung
gerufen.
Am Abend versammeln sich alle in der Kirche zum Ritus des Verzeihens.
Diese Vesper wird bereits als Fastengottesdienst
gehalten, das liturgische Gewand ist schwarz, es werden Kniefälle (zemnye poklony) gemacht und
Bußlieder gesungen.
Am Ende des Gottesdienstes wird über das Verzeihen der Sünden und Kränkungen
und über das Fasten gepredigt und ein Segensgebet für die Große Fastenzeit
gelesen.
Die Geistlichen, vom Vorsteher beginnend, bitten die Gläubigen und einander
um Verzeihung. Danach gehen alle der Reihe nach zu den Priestern, verbeugen
sich, bitten um Verzeihung und verzeihen ihrerseits alle Sünden und
Kränkungen. Dabei küssen sie das Kreuz und das Evangeliar, als Zeichen der
Ehrlichkeit ihrer Worte. Genauso bitten auch die Gläubigen einander um
Verzeihung. Dieses gegenseitige Verzeihen der Kränkungen ist eine
unumgängliche Bedingung für die Reinigung des Herzens und ein erfolgreiches
Fasten.
Die Große Fastenzeit unterscheidet sich von
allen anderen durch besondere Gottesdienste.
Erstens wird an Montagen, Dienstagen und
Donnerstagen keine Liturgie gefeiert (außer an einigen Festtagen); an
Mittwochen und Freitagen wird die Liturgie der Vorgeweihten Gaben zelebriert,
an Sonntagen die Liturgie des heiligen Basileios
des Großen.
Zweitens wird der Umfang der Texte in den Gottesdiensten größer, es werden
viele Psalmen gelesen, es wird weniger gesungen.
Drittens wird das Gebet des heiligen Ephräm des
Syrers mit 16 großen Kniefaellen gebetet.
Die Gottesdienste werden noch durch besondere Gebete erweitert, bei denen man
sich verbeugt oder kniet.
Alle diese Unterschiede charakterisieren die geistliche Atmosphäre der
Fastenzeit, die es im Rest des Jahres nicht gibt. Orthodoxe Christen gehen
öfter als sonst in die Kirche, um diese besonderen Gottesdienste nicht zu
versäumen. Die Hauptgottesdienste sind folgende:
Erste Woche.
Die Lesung des Bußkanons des
heiligen Andreas von Kreta am Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag beim
Abendgottesdienst. Am Morgen des ersten Mittwochs findet die erste Liturgie
der Vorgeweihten Gaben statt. Am Freitag wird nach der Liturgie ein
Bittgottesdienst mit der Weihe des “Kolyvo” (zum Gedächtnis
an das Wunder des Großmärtyrers Theodor Tiron)
gefeiert. Kolyvo ist eine Speise aus gekochten
Körnern, die mit getrockneten Früchten vermischt sind, am häufigsten Reis mit
Rosinen. Diese geweihte Speise wird an die Gläubigen verteilt und an diesem
Tag auf nüchternem Magen gegessen. Diese erste Woche der Fastenzeit endet mit
dem ersten Fastensonntag.
An diesem Sonntag wird das Fest der Orthodoxie begangen – die Feier des
Sieges der Ikonenverehrung auf dem VII. Ökumenischen Konzil.
Zweite Woche.
Am Samstag findet ein Totengedenken statt. Am
Sonntagabend wird in vielen Kirchen der erste Passionsgottesdienst gefeiert.
Es ist ein Gottesdienst mit einem Akathistos-Hymnus
zu Ehren des Leidens Christi. Die anderen drei Passionsgottesdienste werden
an den folgenden Sonntagen gefeiert. Diese Passionsgottesdienste sind nicht
im Typikon vorgeschrieben, sie sind eine fromme Tradition.
Dritte Woche.
Am Samstag findet wieder ein Totengedenken statt.
Die Woche endet mit dem dritten Fastensonntag, dem Sonntag der Kreuzverehrung.
Am Vorabend wird bei der Nachtwache ein Kreuz aus dem Altarraum zur Verehrung
in die Mitte der Kirche getragen. Diese Kreuzverehrung erfolgt unter dem
Gesang des Hymnus: “Dein Kreuz, o Gebieter, beten wir an, und Deine heilige
Auferstehung preisen wir.” Das Kreuz bleibt die ganze Woche zur Verehrung in
der Mitte der Kirche liegen.
Vierte Woche,
Die Woche der Kreuzverehrung. Diese Woche ist eine Woche des strengeren
Fastens als die zweite und dritte Fastenwoche. Am
Mittwoch ist die Hälfte der Fastenzeit vergangen. An allen Tagen der Woche
wird das Kreuz verehrt. Am Freitag wird bei der Vesper das Kreuz in den Altar
getragen. Am Samstag findet wieder ein Totengedenken
statt. Die Woche endet mit dem vierten Fastensonntag, der dem Gedächtnis des
ehrwürdigen Johannes Klimakos, eines Abtes und
strengen Asketen, geweiht ist.
Fünfte Woche.
Am Mittwochabend ist der Gottesdienst dem Vorbild der Umkehr der ehrwürdigen
Maria von Ägypten gewidmet. Während dieses Gottesdienstes wird der Bußkanon
des heiligen Andreas von Kreta zur Gänze gelesen. Deswegen wird die Liturgie
der Vorgeweihten Gaben am Donnerstag zelebriert. Der Samstag der fünften
Woche heißt der Akathistos-Samstag oder Lobpreisung
der Allheiligen Gottesgebärerin.
Am Vorabend wird bei der Vesper der Akathistos-Hymnus
zu Ehren der Gottesmutter mit besonderen Festgesängen gelesen. Aber das
Fasten wird an diesem Tag nicht gelockert.
Sechste Woche.
Am Freitag dieser Woche gehen die Vierzig Tage zu Ende. Der darauffolgende Samstag ist der Lazarus-Samstag, das
Gedächtnis des gerechten Lazarus, der von Jesus Christus am vierten Tag nach
seinem Tod auferweckt wurde. Diese Woche endet mit dem Palmsonntag (siehe
“Der Einzug des Herrn in Jerusalem”).
Karwoche.
Strenges Fasten. Alle Gottesdienste enthalten Besonderheiten.
An den ersten
drei Tagen hören wir die Gesänge: “Siehe, der Bräutigam kommt um
Mitternacht...” und “Dein Gemach...” Sie erinnern uns an die bevorstehende
Begegnung mit Christus, dem himmlischen Bräutigam unserer Seelen, in Seinem
Reich – gleichsam einem herrlichen Gemach. An diesen Tagen wird die Liturgie
der Vorgeweihten Gaben zelebriert.
Am Mittwochabend gibt es eine Beichte für
alle, die ihr Gewissen vor Ostern erleichtern möchten.
Am Großen
Donnerstag (Gründonnerstag)
wird des Letzen Abendmahls gedacht, während dessen der Herr das Sakrament der
Eucharistie eingesetzt hat – die Kommunion. An diesem Tag kommunizieren alle,
welche die Möglichkeit dazu haben. Am Abend findet der Gottesdienst des
Leidens Christi statt. In seinem Verlauf werden zwölf ausgewählte Abschnitte
aus den Evangelien gelesen, die über das Leiden und den Tod Jesu Christi
berichten. Diese “Zwölf Evangelien” sind auch die Besonderheit des
Gottesdienstes. Während der Verkündigung der Evangelien stehen alle mit Kerzen
in der Hand. Die Kerze, die während der Lesung der “Zwölf Evangelien”
gebrannt hat, heißt “Donnerstagskerze”, sie wird brennend nach Hause
getragen, um damit das Öllicht vor den Ikonen anzuzünden und mit der Flamme
ein Kreuz auf dem Türbalken zu zeichnen.
Am Großen
Freitag (Karfreitag)
gibt es keine Liturgie. In der Frühe werden die Königlichen Horen gelesen. In der Mittagszeit wird das Grabtuch
Christi – eine auf Stoff gestickte Ikone des Erlösers, der vom Kreuz
abgenommen und für das Begräbnis bereit gemacht worden ist – aus dem
Altarraum getragen. Das Grabtuch wird mit reichem Blumenschmuck in der Mitte
der Kirche aufgelegt. Alle verbeugen sich vor ihm und küssen es. Am Abend
wird das Begräbnis Christi gefeiert. Am Ende des Gottesdienstes wird das Grabtuch
in einer Prozession um die Kirche getragen.
Am Großen
Samstag (Karsamstag)
in der Früh werden die Horen, die Vesper und die
Liturgie des heiligen Basileios des Großen
gefeiert. Während der Vesper werden 15 Lesungen aus dem Alten Testament
gelesen, die Prophezeiungen über Christus und Seine Auferstehung enthalten.
Im ersten Teil der Liturgie werden alle Gewänder von Schwarz auf Weiß
gewechselt.
An diesem Tag beginnt von der Frühe an die Weihe der Osterspeisen – Kulitsch, Pascha, Eier und Fleisch. Diese Speisen können
bis zum Osterfest gesegnet werden.
Damit enden die Gottesdienste des Fasten-triodions (und die Fastenzeit) und die jubelnden
Gottesdienste des oesterlichen Blumen-triodions
beginnen.
Quelle:
"Orthodoxes Glaubensbuch"
*** ORTHODOXES GLAUBENSBUCH
***
Eine Einführung in das Glaubens- und Gebetsleben der Russischen Orthodoxen
Kirche
LORGUS A. (Priester ANDREJ)
DUDKO M. (Priester MICHAIL)
erschienen mit dem Segen Seiner Heiligkeit ALEKSIJ II., des Hochheiligen
Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus´
"Kniga o Cerkvi",
Verlag Palomnik, Moskau 1997 (3.Auflage Moskau
2000)
mit dem Segen des Höchstgeweihten Erzbischofs PAVEL von Wien und Budapest
übersetzt ins Deutsche von:
Erzdiakon VIKTOR Schilowsky, Russische Orthodoxe Bischofskirche des Hl.
NIKOLAUS, Wien, Österreich
Prof. Dr. Dr. Johann KRAMMER , Philosoph.-Theolog.
Hochschule St. Pölten, Österreich
Verlag "Der Christliche Osten"
Würzburg 2001
ISBN 3-927894-33-8
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